Energie & Kommunikation

Die Menschen nicht vergessen

Im Erlenmattquartier beim Badischen Bahnhof Basel soll eine neue grosse Überbauung entstehen (Bild: Bau- und Verkehrsdepartement Basel-Stadt)

In unseren Städten leben immer mehr Menschen. Damit verändert sich auch das Stadtbild: An vielen Orten werden wenig genutzte Areale überbaut. Doch nicht immer entstehen aus den viel gelobten Entwicklungsschwerpunkten auch lebendige Stadtquartiere.

Die Stadt ist attraktiv: In den letzten Jahren ziehen immer mehr Menschen in unsere Städte – mit spürbaren Folgen: Nicht nur in Zürich mit seinen boomenden Quartieren im Westen und Norden spriessen die Entwicklungsprojekte nur so aus dem Boden, sondern auch andernorts. In Basel beispielsweise entsteht beim Badischen Bahnhof ein neues Stadtquartier, in Bern wird mit den beiden Entwicklungsschwerpunkten Wankdorf und Ausserholligen neuer Wohnund Arbeitsraum geschaffen, und in Genf verändert sich das Gesicht der Stadt durch die grossen Überbauungsprojekte «Praille Acacias Vernets» und «La Chapelle – Les Sciers».

Vielfalt ist attraktiv

«Urbanes Leben ist im Trend», fasst Christian Schmid, Professor am Departement Architektur der ETH Zürich, die Entwicklung zusammen. Als Geograph und Soziologe untersucht er, wie Menschen in Städten leben und welche Faktoren lebenswerte Städte ausmachen. «Was die Menschen in der Stadt suchen ist Lebendigkeit, Vielfalt und Begegnungen mit anderen Menschen », erklärt er. «Doch all dies ergibt sich eben nicht einfach so von selbst.» Lebendigkeit und Austausch lassen sich zwar nicht erzwingen, aber mit einer entsprechenden Planung fördern. «Was eine Stadt attraktiv macht, ist die Vielfalt an Lebensformen auf kleinem Raum. Und es braucht Zentren, an denen sich Menschen aus unterschiedlichen Schichten und mit verschiedenen Bedürfnissen begegnen können.»

So könnte die Erlenmatt-Gallerie einmal aussehen

Ziel des Projektes ist es, mit einer durchmischten Nutzung ein lebendiges Stadtquartier zu schaffen (Bild: Bau-
und Verkehrsdepartement Basel-Stadt)

Freiräume und Begegnungsorte

Diesbezüglich stellt Schmid vielen der neu gestalteten Stadtquartiere ein eher schlechtes Zeugnis aus: «Man denkt immer noch zu wenig an die Menschen und wie sie im Alltag zusammenleben. » Gerade für die Jungen fehlen häufig die Freiräume, in denen sie sich entfalten können. «Man lässt den Menschen immer weniger Möglichkeiten, im Stadtraum ihre eigenen Spuren zu schaffen.» Dazu tragen verschiedene Faktoren bei: Häuser, die sich immer ähnlicher sehen; Fassaden, die abweisend wirken und «gegen Aneignung resistent sind», wie es Schmid ausdrückt; Aussenräume, die bis in das letzte Detail durchgestaltet sind. «Wenn es uns nicht gelingt, Freiräume und attraktive Begegnungsorte zu schaffen, wird sich das gewünschte urbane Lebensgefühl nicht einstellen.»

Der öffentliche Verkehr könnte dazu auch einen wichtigen Beitrag leisten, ist Schmid überzeugt. «Er belebt zum Einen den öffentlichen Raum, zum Anderen bietet sich bei den Stationen die Gelegenheit, zentrale Orte zu schaffen, wo sich Menschen treffen können.» Auch in dieser Hinsicht ist Schmid mit der heutigen Stadtplanung nur bedingt zufrieden: «Wenn neue Linien gebaut werden, nutzt man die städtebaulichen Chancen noch immer zuwenig », findet er. «Züge, Trams und Busse sind nicht einfach nur technische Transportmittel. Sie sind auch ein städtebauliches Element, das man gezielt nutzen kann, um die Lebendigkeit zu fördern, die so viele Menschen in der Stadt suchen.»

Die Ansprüche steigen

«Verdichtung» heisst das Zauberwort der Stadtplaner, wenn man sie fragt, wie die zunehmende Bevölkerung in den Städten untergebracht werden soll. Oder anders ausgedrückt: Der vorhandene Raum muss besser ausgenutzt werden – mit höheren Bauten beispielsweise und weniger Freiflächen. Rund 1,5 Millionen Quadratmeter neue Wohnflächen entstanden alleine in Zürich zwischen 2000 und 2009. Etwa zwei Drittel davon wurde durch Verdichtung geschaffen, indem ehemalige Industrie- und Gewerbebauten umgenutzt oder bestehende Wohnhäuser durch grössere ersetzt wurden. So gelang es, einen grossen Teil der Bevölkerungszunahme ohne Mehrverbrauch an Land aufzufangen.

Allerdings: Früher lebten in Zürich viel mehr Menschen als heute, obwohl damals noch zahlreiche grosse Industriefirmen ihre Werkstätten mitten in der Stadt hatten. Bis zu 440 000 Menschen lebten Anfang der 1960er- Jahre in Zürich, also rund 50 000 mehr als heute. Als in den folgenden Jahren immer mehr Menschen aus der Stadt zogen, sank die Bevölkerungszahl bis 1990 auf 350 000 Einwohner. Nun hat sich der Trend gekehrt: Die Stadt wächst wieder. Allerdings: Die Ansprüche der Menschen haben zugenommen: Alleine in den letzten 10 Jahren hat der Wohnbedarf pro Kopf von rund 40 auf etwa 42 Quadratmeter zugenommen. Das heisst: Beinahe die Hälfte der zusätzlichen Wohnflächen, die wir in den letzten Jahren bauten, würden wir gar nicht benötigen, wenn wir pro Kopf immer noch gleich viel Wohnraum belegen würden wie vor 10 Jahren.


Text: SATW / Felix Würsten
Quelle: Technoscope 3/12: Urbanisierung. Technoscope ist das Technikmagazin der SATW für Jugendliche

Erstellt: 10.01.2013

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