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Das Rätsel des Duschvorhangs

Cumuluswolken

Warum wölbt sich der Duschvorhang nach innen, sobald man das Wasser laufen lässt? Bild: CanStockPhoto

Physik am frühen Morgen gleich nach dem Aufstehen? Nee, danke, erst mal duschen. Wasser laufen lassen und… *kleb*! Da ist er wieder. Der Duschvorhang. Und mit ihm doch die Physik und ein anscheinend noch ungelöstes Rätsel.

Warum so aufdringlich?

Noch leicht verschlafen möchte man am Morgen in aller Ruhe eine Dusche nehmen; doch kaum läuft das Wasser, wird man heimtückisch vom Duschvorhang überfallen! Und damit nicht genug: Der Duschvorhang lässt so schnell nicht mehr locker, sondern klebt regelrecht an der Haut fest. Gleich mehrere physikalische Phänomene könnten daran schuld sein.

Alles heisse Luft

Ein erster Erklärungsversuch stützt sich darauf, dass das warme Duschwasser die Luft in der Dusche erwärmt. Da warme Luft weniger dicht ist als kalte, steigt diese warme Luft nach oben, so dass Luft im unteren Teil der Dusche fehlt; es entsteht kurzzeitig ein Unterdruck. Um den Druckunterschied auszugleichen, strömt nun kältere Luft von aussen in die Dusche. Der Duschvorhang wird durch diesen Wind mitgezogen, und so scheint es, als würde der Vorhang sich selbstständig bewegen. Klingt plausibel. Aber… der Duschvorhang lässt sich auch beim Duschen mit kaltem Wasser nicht davon abhalten, die Duschenden zu überfallen (das kannst du selber ausprobieren, wenn du dich traust!). Also steckt da noch mehr dahinter.

Herr Bernoulli weiss vielleicht mehr

Bernoulli-Effekt am Papierstreifen.

Bernoulli-Effekt am Papierstreifen: Halte den Papierstreifen an die Unterlippe… und blase kräftig darüber.

Lassen wir kurz den Duschvorhang beiseite und machen folgenden Versuch: Schneide einen Papierstreifen aus und halte ihn an deine Unterlippe. Blase nun kräftig durch den Mund. Was erwartest du, dass passiert? Dass der Papierstreifen nach unten gedrückt wird? Tut er nicht! Er wird stattdessen nach oben gesaugt.

Luft, die beschleunigt wird, so wie die Luft, die du ausgeblasen hast, erzeugt einen Unterdruck. Das bedeutet, dass der Druck oberhalb des Papierstreifens niedriger ist als unterhalb des Papierstreifens. Der Papierstreifen wird daher nach oben gesogen.

Diesen Effekt, der auch für Flüssigkeiten gilt, nennt man den Bernoulli-Effekt. Und genau der könnte für die Kapriolen unseres Duschvorhangs verantwortlich sein. Sobald du das Wasser laufen lässt, fällt der Luftdruck um den Wasserstrahl herum ab und der Duschvorhang wird zu dir hin gedrückt.

Oder ist eher ein Hurrikan schuld?

Hurrikan Isabel. In der Mitte erkennst du das Auge des Zyklons. Bild: Mike Trenchard, Earth Sciences & Image Analysis Laboratory, Johnson Space Center/Wikimedia Commons

Der Bernoulli-Effekt scheint aber auch nicht des Rätsels Lösung zu sein. Eine etwas neuere Theorie besagt nämlich, dass sobald das Wasser fliesst, ein Luftwirbel in der Dusche entsteht. Man kann sich ihn wie einen Zyklon vorstellen. Seine Drehachse ist senkrecht zum Duschvorhang. Im Zentrum des Wirbels ist der Druck sehr niedrig (so wie im „Auge“ eines Zyklons). Dieser Unterdruck soll den Duschvorhang „ansaugen“.

Diese Theorie hat David Schmidt, Ingenieur an der Universität Massachusetts mithilfe eines Computermodels, das auch die Bildung von Tropfen berücksichtigt, entwickelt. Dafür hat er 2001 den Ig-Nobelpreis bekommen. Dieser Preis zeichnet wissenschaftliche Leistungen aus, die „Menschen zuerst zum Lachen, dann zum Nachdenken bringen“. Seriöse Forschung muss nicht bitterernst sein.

Wir halten also fest: Den Duschvorhang setzt ein Unterdruck in der Dusche in Bewegung, der entsteht, sobald du den Wasserhahn aufdrehst und Wasser fliesst. Ob aufgrund des Bernoulli- oder eines anderen Effekts steht noch zur Debatte.

Und wieso klebt der Vorhang an der Haut?

Der anhängliche Duschvorhang bleibt gerne am nassen Körper kleben. Im trockenen Zustand dagegen haftet der Vorhang nicht an der Haut. Der Grund dafür ist die sogenannte Adhäsion – das Haften von zwei Oberflächen aneinander. Je grösser und je glatter zwei Oberflächen sind, desto grösser ist die Adhäsionskraft zwischen ihnen. Trockene Haut ist durch kleine Unebenheiten an der Oberfläche verhältnismässig rau. Deshalb bleibt der Vorhang an trockener Haut kaum kleben. Bei nasser Haut sieht das ganz anders aus: das Wasser füllt die Unebenheiten in der Haut aus und bildet so eine glatte Wasserschicht. Wenn nun der glatte Duschvorhang angeflogen kommt, treffen zwei grosse und glatte Oberflächen aufeinander. Perfekte Bedingungen für die Adhäsion: Der nasse Duschvorhang klebt am nassen Körper fest.

Mit den eigenen Waffen schlagen

Genau dieses Phänomen der Adhäsion kannst du nutzen, um fortan das morgendliche Duschen noch mehr geniessen zu können. Mach einfach den obersten Teil der Badewanne etwas nass und drücke den Duschvorhang dort fest.

Herr Bernoulli lässt an jeder Ecke grüssen

Der Bernoulli-Effekt soll auch beim Auftrieb eines Flugzeugs mitwirken. Aber auch sonst im Alltag kannst du ihm begegnen. Sitzt du in einem am Strassenrand geparkten Auto und fährt ein grosser Lastwagen vorbei, spürst du, wie das Auto in Richtung des Lastwagens gesogen wird. Das gleiche passiert, wenn ein Motorradfahrer einen Lastwagen überholt. Auch dort entsteht ein Unterdruck und der leichtere Motorradfahrer wird zum schwereren Lastwagen hin gesogen. Bei Überholmanöver ist also Vorsicht geboten. Und wenn du mal wieder im Bahnhof auf den Zug wartest, halte Abstand zum Gleis. Ein schwerer, schnell vorbeieilender Zug kann einen Unterdruck erzeugen, der dich regelrecht ansaugt und zum Gleis hinzieht.

Zurücktreten bitte! Wenn der Zug vorbeirauscht, entwickelt er einen starken Sog zum Gleis hin. Bild: CanStockPhoto

Erstellt: 10.04.2015
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