Tiere & Pflanzen

Transparenz – die beste Tarnung

Drei Quallen über Kies und Steinen im seichten Wasser

Bild: Marina Varnava - stock.adobe.com

Wärst du manchmal auch gern durchsichtig? Leider ist es wohl nur im Reich der Magie möglich, den menschlichen Körper verschwinden und wieder auftauchen zu lassen. Doch im Tierreich gibt es Spezialisten, die es in der Kunst des Unsichtbarwerdens ziemlich weit gebracht haben.

Haut und Knochen, Blut und Muskeln: Unser Körper besteht aus undurchsichtigen Zellen und Organen. Nur ganz wenige spezialisierte Gewebe sind transparent, so zum Beispiel die Hornhaut und die Linse des Auges. Solche Strukturen, durch die das Licht ohne nennenswerte Abschwächung, Reflexion oder Ablenkung hindurchtritt, erscheinen uns durchsichtig. „Unsichtbar“ werden kann aber auch eine Form, die sich perfekt in den Hintergrund einfügt – sei das durch dieselbe Farbe und Musterung oder durch eine Oberflächenbeschaffenheit, die das Licht so streut oder zurückwirft, dass die Umrisse verschwimmen.

Tarnung ist essenziell

Rother Krake auf rötlichem felsigem Untergrund

Ein Krake, perfekt getarnt (aber nicht durchsichtig). Bild: Eric Carlander - stock.adobe.com

Für viele Tierarten ist Tarnung lebensnotwendig: Insekten, die aussehen wie ein Blatt, bodenlebende Vögel mit tarnendem Federkleid oder bizarr anmutende Echsen, die an vertrocknetes Holz und Zapfen erinnern. Zur Perfektion getrieben wird dieser Tarnmechanismus natürlich vom Chamäleon, das seine Hautfarbe dem Untergrund anpassen kann! Im Wasser ist es der Krake, der zu demselben Zweck die Anordnung der Pigmente in seiner Haut steuern kann. Da er auch seine Form mit Leichtigkeit verändern kann, ist er auf dem Meeresgrund zwischen Steinen perfekt verborgen vor Fressfeinden – und auch an seine eigene Beute macht er sich auf diese Weise unbemerkt heran.

Offenes Wasser bietet kein Versteck

Jungtier einer Seegurke

Bei diesem Jungtier einer Seegurke sieht man durch den Körper hindurch den Verdauungstrakt. Bild: NOAA Okeanos Explorer/Wikimedia Commons

Tarnfarben sind nützlich, wenn der Lebensraum gewisse Versteckmöglichkeiten bietet. Doch was ist die Überlebensstrategie von Tieren, die frei schwimmend im offenen Meer leben; weit weg vom Meeresgrund oder schützenden Riffen und nahe genug an der Wasseroberfläche, um vom Licht beschienen zu werden? Wer nicht sehr klein, schnell, giftig oder bissig ist, hat es in diesem Lebensraum schwer! Dies betrifft Tiere, die sich nicht aktiv schwimmend fortbewegen, und insbesondere auch die Jungtiere und Larven vieler Arten. Viele von ihnen haben die perfekteste aller Tarnfarben: Sie sind zumindest teilweise transparent – zum Beispiel Quallen, junge Tintenfische, Garnelen und Seegurken. Doch es gibt auch Fische, deren Körper bis auf die Gräten und Augen so gut wie durchsichtig ist. Die Gallertkalmare besitzen unterhalb ihrer Augen (die durch den transparenten Kopf hindurchschimmern) sogar kleine, lichterzeugende Organe, welche die dunklen Augenflecken von unten gesehen ausgleichen! So verschwimmt ihr Körper perfekt mit dem Hintergrund des lichtdurchfluteten Wassers.

Lichtbrechung – ein entscheidender Faktor

Schmetterling mit halb durchsichtigen Flügeln auf oranger Blüte

Ein Glasflügelfalter mit bis auf den Rand durchsichtigen Flügeln. Bild: Eddy Van/Wikimedia CommonsCC BY-SA 2.0

An Land hat sich Transparenz als Strategie zur Tarnung weniger etabliert. Licht breitet sich in der Luft anders aus als im Wasser und wird an Oberflächen gebrochen. Dieser Effekt ist an der Grenze zwischen Luft und den meisten Materialien viel stärker als beispielsweise am Übergang vom Wasser zur Gallerthülle einer Qualle. Deshalb erscheinen nur sehr wenige biologische Strukturen in der Luft wirklich durchsichtig. Dazu gehören beispielsweise die zarten Flügel von Libellen. Bei Schmetterlingen kommen transparente Flügel sehr selten vor, aber es gibt sie: Der südamerikanische Glasflügelfalter kann sich vor seinen wichtigsten Fressfeinden – Vögeln mit scharfen Augen – sogar im Flug ziemlich gut verbergen. Seine Flügel bestehen aus einer durchsichtigen Membran mit einer Oberfläche, welche die Lichtreflexion bestmöglich reduziert. Stark verkleinert sind auch die winzigen Schuppen, mit denen alle Schmetterlingsflügel bedeckt sind, um bei Feuchtigkeit nicht zusammenzukleben.

Ein Glasfrosch macht sich unsichtbar

Nicht völlig durchsichtig, aber zumindest stark durchscheinend sind auch die Körper einiger Amphibien. Die Familie der Glasfrösche aus den tropischen Regenwäldern Südamerikas trägt diese Eigenschaft sogar im Namen. Diese Fröschchen, fast alle kleiner als 3 cm, leben in den Blättern von Regenwaldbäumen. Ihre Haut und der grösste Teil ihres Gewebes sind so zart, dass man von unten die Organe in ihrem Körper sehen kann, und bei Weibchen in der Paarungszeit auch die Eier. Doch offensichtlich ist dies noch nicht genug, um die nachtaktiven Frösche am Tag so gut wie möglich vor den Augen von Fressfeinden zu verbergen. Seit kurzem weiss man, dass sie während ihrer Ruhephase 80–90% ihrer roten Blutzellen, die ansonsten durch die Haut sichtbar sind, aus den Adern zurückziehen und in der Leber einlagern können! Wenn sie in diesem Zustand unbeweglich auf den Blättern verharren, scheint die grüne Farbe des Hintergrundes durch ihre Glieder hindurch und tarnt sie perfekt.

Von der Forschung zur Anwendung

Es ist nicht nur einfach spannend, die ungewöhnlichen Eigenschaften von Tieren und Pflanzen zu erforschen. Oft führen die Erkenntnisse, die dabei gewonnen werden, zu technischen oder medizinischen Anwendungen. Die Flügelmembran der Glasflügelfalter wird auch deshalb so genau untersucht, weil ihre Struktur und chemische Zusammensetzung Anregungen geben könnte, wie man beispielsweise Gläser und optische Linsen „entspiegeln“, also mit einer nicht reflektiven Schicht versehen kann.

Die Fähigkeit des Glasfrosches, seine Blutzellen in der Leber zu konzentrieren, ist für die Medizin höchst interessant: Wie schafft er es, dass seine Blutgefässe dadurch nicht verstopfen? Wenn man diese Frage klären könnte, ergäben sich daraus vielleicht bessere Behandlungsmöglichkeiten gegen Thrombosen oder in anderen Situationen, in denen Blutgerinnung für Patientinnen und Patienten eine Gefahr darstellt.

Zuletzt geändert: 04.12.2023
Erstellt: 11.12.2023
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