Portraits

Interview mit den ETH-Studenten Stefan Schrade und Patrick Pfreundschuh zum VariLeg-Exoskelett

Stefan Schrade und Patrick Pfreundschuh

Teamleader Stefan Schrade und Mediensprecher Patrick Pfreundschuh geben Einblick ins VariLeg-Projekt. Bilder: Stefan Schrade und Patrick Pfreundschuh

VariLeg heisst das Exoskelett, das an der ETH Zürich entwickelt wird und Personen mit eingeschränkter Beinfunktion ermöglichen soll, wieder aufrecht zu gehen. Nach der erfolgreichen Teilnahme am Cybathlon 2016 wird das VariLeg‐Exoskelett weiterentwickelt. Technoscope bat Stefan Schrade (Doktorand RELab ETH Zürich, Teamleader VariLeg) und Patrick Pfreundschuh (Bachelor Maschinenbau ETH Zürich, Mediensprecher VariLeg) um Einblick in das VariLeg‐Projekt.

Was ein Exoskelett ist, erfährst du im Artikel "Exoskelette Hilfreiche Rüstungen"

Hat der Cybathlon 2016 neue Erkenntnisse gebracht, die in die weitere Entwicklung von VariLeg einfliessen?

Durch das Trainieren der verschiedenen Hindernisse des Parcours konnten viele Alltagssituationen simuliert werden. Daraus ergaben sich interessante Erkenntnisse insbesondere bezüglich der Schwierigkeit des Erlernens und Durchführens für die Benutzer. Einige Hindernisse, die für einen gesunden Testpiloten im VariLeg einfach zu bewältigen waren, waren für die Paraplegiker eine grössere Herausforderung, als wir erwartet hätten (zum Beispiel steile Steigungen hinauflaufen). Andere Hindernisse hingegen fielen entgegen unseren Erwartungen dem gesunden Testpiloten genau so schwer wie den Paraplegikern (zum Beispiel die schiefe Ebene). Hieraus wurde insbesondere die Notwendigkeit von Änderungen in der Befestigung der Piloten am Gerät festgestellt. Auch haben die Hindernisse gezeigt, dass die Motorisierung und Robustheit des Gerätes noch nicht optimal sind und in weiteren Versionen angepasst werden sollten. Wir konnten aber eine durchaus positive Bilanz ziehen, da wir erfolgreich zwei gelähmte Benutzer für unser Exoskelett ausgebildet haben. Mit ihnen haben wir erfolgreich am Cybathlon teilgenommen und so konnten wir den Grundstein für unsere weiterführende Forschungsarbeit setzen.

Für wen ist VariLeg geeignet? Was sind die geplanten Einsatzbereiche?

Das VariLeg kann sowohl von Personen mit kompletter Beinfunktion, partieller Beinfunktion und vollständig querschnittsgelähmten Personen (solange eine gewisse Rumpfstabilität und genügende Armfunktion für die Benutzung der Krücken vorhanden ist) benutzt werden. Momentan wird das VariLeg noch nicht im Alltag eingesetzt, sondern nur auf dem Testparcours in unserem Labor oder vereinzelt im Freien. Wir stellen uns vor, dass das Gerät mittelfristig vor allem als Therapiegerät in der Rehabilitation und danach für chronische Patienten als Trainingsgerät und Ergänzung zum Rollstuhl wirken könnte. Kleine Ausblicke in die Zukunft und worauf wir hinarbeiten geben die Momente, in welchen wir mit unseren Benutzern im VariLeg einen Kaffee am Automaten holen gehen und dort stehend trinken. Für ein Filmprojekt sind wir ausserdem bereits einmal auf der Aussichtsplattform auf dem Pilatus herumgelaufen.

Wie viele Testpersonen haben bis jetzt VariLeg getestet und wie sind die Rückmeldungen?

Bisher haben mehrere gesunde Testpiloten und zwei Paraplegiker das Gerät über längere Zeit getestet. Da es sich beim VariLeg um einen Prototyp handelt, gab es natürlich einige Verbesserungsvorschläge der Piloten, die auch teilweise schon umgesetzt wurden. Generell macht ihnen die Benutzung des VariLeg Spass, auch wenn sie sagen, dass sie es vom Feeling her mit dem richtigen Laufen noch nicht vergleichen können. Sie schätzen allerdings die Möglichkeit wieder gehen zu können als Training für ihre Beine (zum Beispiel Knochen und Gelenke). Einer unserer Benutzer hat uns auch mitgeteilt, dass sich das Gehen positiv auf seine Darmregulierung und Beweglichkeit auswirkt.

Die Anwendung ist nicht trivial, sondern bedarf des Trainings. Wie aufwendig ist das Training für den Anwender? Wie anstrengend ist es für geübte Anwender mit VariLeg zu laufen?

Unsere beiden Testpiloten haben rund zwei Monate bei zwei- bis dreimaligem Training pro Woche benötigt, bis sie mit dem Gerät ordentlich geradeaus und Kurven laufen konnten. In diesem Zeitraum gab es allerdings auch noch einige Anpassungen und Verbesserungen an dem Gerät, sodass die Lernzeit mittlerweile vermutlich kürzer ausfallen würde. Ausserdem haben wir auch noch Hindernisse wie Treppen, Steigungen und schiefe Ebenen für den Cybathlon geübt. Diese Hindernisse benötigen zusätzliche Trainingszeit. Der Bedarf ist im Allgemeinen besonders von der persönlichen Fitness und der Verletzungscharakteristik abhängig. Unsere Erfahrungen sind also nicht unbedingt verallgemeinerbar. Am Anfang war die Benutzung des VariLeg für die Piloten sehr anstrengend, da sich der Körper und der Kreislauf an die Bewegungen und Belastungen zunächst wieder gewöhnen müssen. Während die Piloten zu Beginn des Trainings schon nach einigen Minuten erschöpft waren, können sie mittlerweile einstündige Trainings absolvieren und das Geradeausgehen bringt sie nicht mehr ausser Atem.

Das regulierbare Kniegelenk unterscheidet VariLeg von anderen Exoskeletten. Wie genau funktioniert das? Muss der Anwender im Voraus die Kniesteifigkeit dem Gelände entsprechend anpassen oder passt das Kniegelenk sich selbständig dem Gelände an?

In den Oberschenkeln des VariLeg befinden sich Federn, die durch einen zusätzlichen Motor vorgespannt werden. Mit diesem Motor kann die Stetigkeit im Kniegelenk reguliert werden. Damit ist es möglich, den Schritt – wie bei einem natürlichen Kniegelenk – je nach Ganggeschwindigkeit und Untergrund unterschiedlich stark abzufedern. Dieses Verhalten versuchen wir mit dem Gerät nachzuahmen, ähnlich der Fahrwerkseinstellung moderner Autos. Für den Nutzer soll dadurch der Vorteil gegenüber anderen Geräten entstehen, dass sich das Gerät besser an Unebenheiten und unterschiedliche Umgebungen anpassen kann. Zurzeit muss die Steifigkeit noch manuell eingestellt werden. In Zukunft soll sich dies allerdings ändern, weswegen wir uns momentan mit der Umsetzung einer verbesserten autonomen Steuerung beschäftigen.

Ist eine Anwendung ohne Krücken geplant?

Bisher ist eine Anwendung des VariLeg komplett ohne Krücken nicht geplant. Es werden allerdings Konzepte untersucht, die es dem Benutzer erlauben, das Gerät ohne die Krücken zu steuern. Zur Stabilisierung werden sie allerdings weiterhin benötigt werden. Es gibt jedoch andere Forschungsprojekte, die solche Ziele verfolgen.

Die Geschwindigkeit der Fortbewegung ist begrenzt. Ist das eine technische Limitation oder kann sie durch Training gesteigert werden?

Zu Beginn des Trainings war der limitierende Faktor die fehlende Erfahrung der Piloten mit dem Gerät. Mittlerweile sind die Piloten soweit fortgeschritten, dass sie das technische Limit der Geschwindigkeit des Exoskeletts ausschöpfen können. Dieses Limit entsteht durch unsere Motoren‐Getriebe‐Kombination. In späteren Generationen des Geräts wird dies vermutlich angepasst.

Wie schwer ist das Exoskelett? Wird das Gewicht über die Struktur auf den Boden abgeleitet oder trägt es der Anwender?

Das VariLeg wiegt rund 35 Kilogramm. Das Gewicht spürt der Anwender allerdings nicht wie einen Rucksack, da es durch die Struktur auf den Boden abgeleitet wird. Bei gewissen Manövern wie dem Drehen auf der Stelle oder dem Balancieren
merkt der Anwender das zusätzliche Gewicht allerdings schon.

Die Akkulaufzeit ist auf zwei Stunden begrenzt. Ist es denkbar, dass sie verlängert wird?

Eine Verlängerung der Akkulaufzeit ist technisch gesehen möglich. Da unsere Trainingseinsätze mit den Piloten aber bisher keine längere Laufzeit benötigen, steht diese Entwicklung momentan nicht im Fokus.

Nimmt das VariLeg‐Team am Cybathlon 2020 mit einer neuen Version des VariLeg‐Exoskeletts teil? Was wird anders sein und was erhoffen Sie sich?

Es ist geplant, dass das VariLeg auch am Cybathlon 2020 wieder teilnehmen wird. In welcher Form dies genau stattfinden wird, dazu wollen wir uns momentan noch nicht äussern. Klar ist, dass wir auf ein verbessertes Gerät setzen werden können und so hoffentlich noch weiter vorne in der Rangliste sein werden.

Kann man vorhersagen, ab wann VariLeg für den Endanwender verfügbar sein wird?

Ob und zu welchem Zeitpunkt das VariLeg für Endanwender verfügbar sein wird, ist zum momentanen Zeitpunkt noch nicht zu sagen. Aktuell steht die wissenschaftliche Fragestellung bezüglich des Antriebes im Fokus. Sollten die Untersuchungen ergeben, dass es die gewünschten Vorteile haben könnte, eine solche Anpassbarkeit der Steifigkeit einzubauen, hoffen wir natürlich, dass wir das auch in einem Produkt umsetzen und den Betroffenen zur Verfügung stellen können. So könnten Gehroboter der Zukunft noch besseres Training und eine verbesserte und flexiblere Unterstützung im Alltag bieten.

Erstellt: 28.09.2017
Mehr