Erde & Umwelt

Freie Flüsse

Renaturierter Chly Rhy in Rietheim

Renaturierter Chly Rhy in Rietheim, Kanton Aargau. Bild: Joris Egger/Wikimedia Commons, CC-Lizenz

Ein naturbelassener Fluss hat keine klaren Ufer. Er schlängelt sich durch die Landschaft und sucht sich neue Wege. Bei Hochwasser kann er grosse Gebiete überfluten und schafft so einzigartige Lebensräume, die Auwälder. In der Schweiz und in Mitteleuropa gibt es nur noch wenige freie Flüsse. Lange Flussstrecken wurden in den letzten Jahrhunderten in ein Betonkorsett gezwängt, umgeleitet oder ausgetrocknet. Das hat Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt, aber auch für die Menschen. Deshalb bemühen sich viele Länder um die Renaturierung ihrer Flüsse.

Wo Flüsse regelmässig über die Ufer treten, entstehen Auwälder. Welche Tier- und Pflanzenarten dort leben, hängt von der Häufigkeit, Dauer und Fliessgeschwindigkeit der Überflutungen ab. In häufig überfluteten Gebieten – während 100 bis 200 Tagen im Jahr – findet man die Weichholzaue. Wie der Name sagt, wachsen hier sogenannte Weichhölzer, wie Weiden, Schwarz-Erle und Schwarz-Pappel.

Auwald

Ein überfluteter Auwald. Bild: CanStockPhoto

Nehmen die Überflutungen ab, entwickelt sich eine Hartholzaue, mit Eichen, Ulmen, Eschen und Ahorn. Je weniger stark das Gebiet überflutet wird, desto mehr ähnelt die Vegetation den Eichen-Hainbuchen- oder Rotbuchenwäldern, welche in grossen Teilen Mitteleuropas die natürliche Waldform darstellen.

Warum sind Auen wertvolle Lebensräume?

Auwälder bieten Lebensraum für viele seltene und bedrohte Tier- und Pflanzenarten. In diesem Umfeld überleben Bäume, die unter normalen Bedingungen von den konkurrenzstärkeren Arten, wie Buche oder Eiche, verdrängt werden. Buchen ertragen die häufigen Überflutungen in den Auwäldern nicht und es bleibt zum Beispiel Platz für Weiden oder Eschen.

Eisvogel

Eisvogel auf einer Sitzwarte, von der aus er kleine Fische im Wasser erspäht. Bild: CanStockPhoto

In den Auen lassen sich auch aussergewöhnliche Tierarten nieder. Sie haben spezielle Anforderungen, die nur ein natürlicher Flusslauf erfüllen kann. Der wohl berühmteste Bewohner der Auen ist ein kleiner blauer Vogel, der Eisvogel. Er baut sein Nest nicht auf Bäumen, sondern bohrt sich ein Loch in eine weiche Wand aus Erde. Diese findet er bevorzugt an den Steilwänden am Prallhang eines natürlichen Flusses.

Auch die Gelbbauchunke ist auf natürliche Flussläufe angewiesen. Die kleine Kröte mit gelbem Bauch laicht in warmen Pfützen. Die Grösse der Pfützen ist enorm wichtig: Sie müssen klein genug sein, damit sich keine Fressfeinde niederlassen können, aber gross genug, dass sie nicht austrocknen, bevor die Jungen an Land überleben können. Wenn keine natürlichen Flüsse vorhanden sind, die solche Pfützen formen, dann laichen die Gelbbauchunken neben Strassen und in Feldern. Dort werden die immer seltener werdenden Kröten häufig überfahren.

Gelbbauchunke

Die Gelbbauchunke ist ein typischer Bewohner von Bach- und Flussauen. Bild: CanStockPhoto

Nicht zuletzt profitieren auch die Menschen, die in der Nähe von Flüssen wohnen, von den Auen. In den Auwäldern können, wie in einem Schwamm, grosse Mengen von Wasser gespeichert werden. Dadurch dienen sie als Puffer, wenn der Fluss grosse Wassermengen führt, und bieten natürlichen Hochwasserschutz. Abgesehen davon sind Flussauen beliebte Erholungsgebiete, in denen man – mit etwas Glück – spannende Naturbeobachtungen machen kann.

Warum gibt es kaum noch ursprüngliche Auen in Mitteleuropa?

Schon im Mittelalter begannen die Menschen, Flüsse zu verändern. Damals dienten sogenannte Flussbegradigungen der Schifffahrt. Der gewünschte Flusslauf wurde mit Steinwänden vorgegeben, in denen das Wasser der Flüsse konzentriert wurde. Manchmal wurden ganze Flussschlaufen und Nebenarme trockengelegt. Das Ziel war, die entstandenen Kanäle möglichst tief zu machen und die Strecke für die Schiffe zu verkürzen. Später dienten Flusskorrekturen auch der Landgewinnung. Neben den Flüssen wurden Wälder gerodet, Siedlungen gebaut und Felder für die Landwirtschaft genutzt. Die Überflutungen, die für Auenwälder überlebenswichtig sind, wurden für Siedlungen und Landwirtschaft lästig. Um die Überflutungen zu kontrollieren, wurden die Flussrinnen früher mit Steinen, später mit Beton vorgegeben, und aus den Flüssen Kanäle gemacht. Kleinere Flüsse wurden teilweise sogar unter den Boden verlegt.

Was wird getan, um diese Lebensräume wiederherzustellen?

Die Gewässerschutzpolitik der Schweiz sieht vor, dass die negativen Auswirkungen der Wasserkraft verringert und Flüsse und Seen revitalisiert, also wiederbelebt, werden sollen. Ausserdem soll den natürlichen Gewässern genug Raum gegeben werden, damit sie sich wieder frei bewegen können. Eine Flussrevitalisierung ist teuer und beinhaltet viele Bauarbeiten, so zum Beispiel in den Thurauen im Zürcher Weinland. Zuerst wurde die Thur von ihrem Steinkorsett befreit. Dann wurden Kiesinseln aufgeschüttet und Hindernisse (sogenannte Buhnen) in den Flusslauf gelegt, um der Thur zu helfen, ihren natürlichen Schwung wieder zu erlangen.

Neben diesen groben Eingriffen werden meist noch kleinere Arbeiten erledigt. Brutkästen werden bereitgestellt für Eisvögel und Fledermäuse, Bäume werden gepflanzt oder gefördert und ausgetrocknete Teiche werden wieder ausgehoben. Wenn alles bereit ist, heisst es abwarten, bis die Tiere zurückkommen. Nach einer Weile nisteten sich Eisvogel und Co. von selbst wieder ein, und sogar Biber liessen sich in den Thurauen nieder.

Erstellt: 07.02.2017
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