Tiere & Pflanzen

Wie entstehen neue Tierarten?

Zwei Riesenschildkröten

Charles Darwin (1809–1882) erkannte als erster, dass sich die Panzer der Schildkröten auf den Galápagos-Inseln je nach Lebensraum der Tiere voneinander unterscheiden. Aus den ursprünglichen Galápagos-Riesenschildkröten haben sich mit der Zeit mehrere Unterarten entwickelt. Bild: CanStockPhoto

Es gibt unzählige Arten auf der Erde. Immer wieder hört man, dass zum Beispiel eine neue Pflanzenart gefunden wurde oder eine Tierart kurz vor dem Aussterben steht. Doch was ist eigentlich eine Art und wie entsteht sie?

Maultier bei einem Strauch auf sandigem Boden

Dieser Maultierhengst hat den Schweif von seiner Pferde-Mutter und die langen Ohren seines Esel-Vaters geerbt. Das Maultier selbst kann jedoch keine Nachkommen zeugen. Pferde und Esel gehören biologisch zu zwei verschiedenen Tierarten; Mischlinge wie Maultiere und Maulesel entstehen hauptsächlich, wenn der Mensch sie züchtet. Bild: Wikimedia Commons

Es gibt in der Biologie verschiedene Möglichkeiten, eine Art zu definieren. Die häufigste Definition ist: Individuen derselben Art können sich über mehrere Generationen miteinander fortpflanzen. Pferd und Esel können beispielsweise Nachkommen miteinander zeugen (es entstehen Maultiere oder Maulesel), diese sind jedoch unfruchtbar. Pferd und Esel gehören also zu zwei verschiedenen Tierarten.

Wie sieht es aber bei Tieren oder Pflanzen aus, die sich ohne Partner vermehren können? Hier definiert man die Art oft anhand ihrer Eigenschaften: Es gehören alle Individuen dazu, die in ihren wesentlichen Merkmalen miteinander und mit ihren Nachkommen übereinstimmen.

In beiden Fällen gilt: Wenn zwei Populationen von Tieren oder Pflanzen in der Natur über viele Generationen am gleichen Ort leben, ohne dass sie sich vermischen (also ohne dass Nachkommen mit Merkmalen von beiden Gruppen entstehen), werden sie zwei verschiedenen Arten zugeordnet.

Darwin und die Entstehung der Arten

Der Naturforscher Charles Darwin (1809–1882) beobachtete über Jahre hinweg die Tier- und Pflanzenwelt der Galápagos-Inseln und stellte fest, dass auf verschiedenen Inseln Finken und Schildkröten leben, deren Schnäbel und Panzer sich jeweils in der Form unterscheiden. Kleinere Unterschiede kommen jeweils auch innerhalb einer Art vor.

Je nach Nahrungsangebot oder anderen Umweltbedingungen können bestimmte Schnabel- oder Panzerformen besonders vorteilhaft sein. Die Tiere mit diesem Merkmal finden dann vielleicht mehr Nahrung oder sind auf andere Art besser angepasst, leben länger und haben die meisten Nachkommen. In einer anderen Umgebung haben Tiere mit etwas anderen Merkmalen Vorteile und vermehren sich stärker. So können sich verschiedene Populationen mit unterschiedlichen Merkmalen entwickeln.

Artbildung: Beispiele

Rabenkrähe und Nebelkrähe

Rabenkrähen und Nebelkrähen sind aus derselben Art hervorgegangen. Dort, wo ihre Verbreitungsgebiete überlappen, kommen manchmal Mischlinge (Hybride) vor, aber ansonsten bleiben die beiden Populationen getrennt. Bilder: CanStockPhoto, ponafotkas/Wikimedia Commons, CC-Lizenz

Am häufigsten bildet sich eine neue Art, wenn eine Population räumlich von den restlichen Tieren der Art getrennt wird. Stell dir zum Beispiel einen See vor, der teilweise austrocknet und in zwei Hälften geteilt wird, oder einen Wald, durch den eine Schneise gerodet wird. Die Tiere in dem einen Teil können sich nun nicht mehr mit denen im anderen Teil paaren. Merkmale der Elterntiere werden nur noch innerhalb der getrennten Populationen weitergegeben und neu kombiniert. Nach einigen Generationen können sich bei den Tieren in den nun getrennten Lebensräumen unterschiedliche Merkmale durchsetzen und zur Entwicklung unabhängiger Arten führen.

Das Beispiel der Galápagos-Finken

So kann man erklären, wie sich aus wenigen Vögeln, die ursprünglich vom Festland stammten, auf verschiedenen Inseln unterschiedliche Arten entwickelt haben. Artbildung kann aber auch ohne räumliche Trennung stattfinden, also zum Beispiel auf derselben Insel. Kleine Unterschiede bei der Schnabelform der Vögel können dazu führen, dass sich die Tiere auf unterschiedliche Nahrung spezialisieren. Sie halten sich vorwiegend dort auf, wo sie am meisten geeignete Nahrung finden, paaren sich mit Vögeln, die ähnliche Vorlieben haben, und ziehen Junge auf, welche die Schnabelform von ihren Eltern erben. So entwickeln sich Populationen mit unterschiedlichen Schnäbeln und schliesslich eigenständige Arten.

Raben- und Nebelkrähe

Die schwarze Rabenkrähe und die grau-schwarze Nebelkrähe sind durch Aufspaltung einer Ursprungsart entstanden. Ihre Vorfahren wurden vermutlich während der letzten Eiszeiten geographisch voneinander getrennt, und es entwickelten sich zwei deutlich unterscheidbare Typen von Krähen. Heute leben fast in der ganzen Schweiz Rabenkrähen, Nebelkrähen jedoch nur im Tessin, Graubünden und Wallis. Rabenkrähe und Nebelkrähe könnten sich miteinander fortpflanzen, tun dies aber nur selten. Sie paaren sich nämlich bevorzugt mit ähnlich aussehenden Tieren. Die unterschiedliche Gefiederfarbe ist also ein wichtiges Merkmal für die Fortpflanzung und verhindert, dass sich die Populationen wieder durchmischen. Manche Fachleute bezeichnen Raben- und Saatkrähen deshalb als zwei eigenständige Arten, andere sprechen von nahe verwandten Unterarten.

Florfliegen

Auch bei der amerikanischen Florfliege konnte man eine Aufspaltung in zwei Arten beobachten, die sich heute in Körperfarbe, Fortpflanzungszeit und Kommunikation der Partner unterscheiden und unterschiedliche Nischen ihres Lebensraums besiedeln.

Stichlinge

Die Entwicklung einer neuen Art kann schneller voranschreiten, als man lange Zeit dachte. In und um den Bodensee wurde kürzlich beobachtet, dass sich der Stichling in zwei Arten aufzuspalten beginnt. Dies ist ein Fisch, der sich seit etwa 150 Jahren im ganzen Mittelland der Schweiz ausbreitet. Die Stichlinge im Bodensee unterscheiden sich genetisch von jenen in den Seezuflüssen, obwohl sie sich am gleichen Ort (den Zuflüssen) paaren. Auch haben sie unterschiedliche äussere Merkmale entwickelt: See-Stichlinge haben breitere Knochenplatten am Körper und längere Stacheln, was vor Raubfischen und Vögeln schützt. Ein Bild findest du auf der Website der Wasserforschungsanstalt EAWAG.

Noch sprechen Wissenschaftler zwar nicht von verschiedenen Arten, denn die unterschiedlichen Typen können sich auch wieder vermischen. Auch bei anderen Tierarten beobachtet man aber überraschend schnelle Anpassungen an veränderte Umweltbedingungen. Daraus schliesst man, dass sich Arten bereits innerhalb weniger Jahrzehnte messbar verändern können.

Erstellt: 19.10.2023
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