Tiere & Pflanzen

Der Narwal – das Einhorn der Meere

Der speerförmige Zahn schraubt sich durch die Oberlippe der Narwal-Männchen und ist begehrt bei Elfenbeinhändlern. Bild: Dr. Kristin Laidre, Polar Science Center, UW NOAA/OAR/OER

Ausgestattet mit einem Zahn so lang wie ein Speer und einer dicken Fettschicht schwimmt der Narwal durch das eisige Polarmeer. Nebst Menschen und Eisbären fürchtet er dabei vor allem eine schnell schliessende Eisdecke auf dem Meer.

„Blubber“ unter der Haut und Packeis in der Nähe

Viele Geschichten und Legenden ranken sich um Narwale. Ausgestattet mit einer dicken Fettschicht  unter der Haut – „Blubber“ genannt – leben sie hoch im Norden im arktischen Ozean, wo das Meer kalt und voller Eis ist. Man findet sie rund um Grönland und an den Küsten von Sibirien, Kanada, Alaska und Spitzbergen. Narwale schwimmen weiter nördlich als jede andere Walart, sogar weiter als die Belugas (Weisswale), ihre nächsten Verwandten. Die etwa 3–5 Meter grossen Narwale gehören zu den Zahnwalen und leben in Gruppen mit etwa 5–20 Mitgliedern immer in der Nähe des Packeises, wo sie vor menschlichen Beobachtern gut versteckt sind. Für Wissenschaftler ist es darum nicht gerade einfach, Narwale zu erforschen, und vieles ist noch unentdeckt im Leben des „Meeres-Einhorns“.

Das „Einhorn“ ist eigentlich ein „Einzahn“

„Einhörner der Meere“ – so werden Narwale nämlich auch genannt. Der Grund dafür befindet sich am Kopf der Narwal-Männchen: ein bis zu drei Meter langer Stosszahn aus Elfenbein (so wird das Zahnmaterial genannt) schraubt sich dort speerartig nach vorne. Er sieht etwas aus wie ein Horn, ist aber in Wirklichkeit ein unglaublich langer Eckzahn des Oberkiefers! Auch Narwal-Weibchen haben manchmal einen Stosszahn (etwa jedes siebte Weibchen), allerdings ist dieser kleiner als bei den Männchen. Die restlichen Zähne der Narwale sind oftmals nicht vollständig entwickelt. Die Tiere „saugen“ ihre Beute – Fische, Tintenfische, Krebse – wahrscheinlich mit Zunge und Lippen in den Mund.

Dominanzmerkmal oder Sinnesorgan?

Doch was nützt dem Narwal so ein langer Stosszahn? Das ist auch den Wissenschaftlern noch nicht ganz klar. Möglicherweise dient der Zahn als Dominanzmerkmal – also um zu erkennen, wer das beste und stärkste Männchen ist, ähnlich wie zum Beispiel das Geweih der Hirsche. Wahrscheinlich ist auch, dass der Stosszahn ein Sinnesorgan ist. In seinem Innern hat es nämlich etwa 10 Millionen Nervenenden, die den Zahn mit dem Gehirn verbinden und den Narwal vermutlich mit Informationen über das Wasser – Temperatur, Druck, Salzgehalt etc. – versorgen. Selten wurde bei Narwalen auch beobachtet, dass sie den Stosszahn in Kämpfen oder zum Durchbrechen einer Eisdecke einsetzen.

Sagenumwobenes Ainkhürn

„Ein-Gehörn“ oder eben „Ainkhürn“ wird der beeindruckende Stosszahn des Narwals auch genannt. Und es ist noch gar nicht so lange her, dass selbst Gelehrte den Zahn für das Horn des sagenumwobenen Einhorns hielten und als Beweis für die Existenz des Fabeltieres ansahen. Daher war der Narwal-Zahn unglaublich kostbar und es wurden ihm allerlei Wunderkräfte nachgesagt. So soll das Ainkhürn starke Heilkräfte haben und vor Vergiftungen schützen – trank man aus Ainkhürn-Bechern, glaubte man sich sicher vor Giftanschlägen. Auch für Schwert- und Stabgriffe war das Elfenbein ein begehrtes Material. Der dänische Königsthron bestand sogar gänzlich aus Narwal-Zahn.

Das "Ainkhürn" - Stosszahn eines Narwals

Der sich spiralig nach links drehende Eckzahn des Narwals wurde lange für das Horn des Einhorns gehalten. Bild: Andreas Praefcke/Wikimedia Commons

Das schützende Eis kann zur Todesfalle werden

Eisdecken können nämlich für Narwale den Tod bedeuten. Da sie wie alle Wale Säugetiere sind, müssen sie spätestens nach 20–30 Minuten auftauchen und Luft holen. Manchmal werden Narwale durch schnell gefrierendes Eis in Buchten oder Fjorden eingeschlossen und können nicht mehr entkommen, da die Distanz zum offenen Wasser für sie zum Tauchen zu gross ist. Sofern sich das Eis nicht rasch wieder öffnet, sterben die Tiere dann oftmals an Erschöpfung oder werden von Jägern erbeutet. Durch ihre Abhängigkeit vom Eis sind Narwale vom fortschreitenden Klimawandel besonders bedroht.

Narwal-Feind Mensch

Man schätzt, dass heute noch etwa 60'000 Narwale in der Arktis leben. Der Narwal ist international geschützt, und die Jagd auf die Tiere erfolgt nach strengen Richtlinien. Bei den Inuit, den Ureinwohnern von Kanada und Grönland, hat die Narwal-Jagd eine lange Tradition und ist Teil ihrer Kultur. Narwale liefern überlebenswichtige Nähr- und Rohstoffe, und so gut wie alle Teile eines erlegten Narwals werden verwertet. Das Fleisch wird gegessen, und besonders die Vitamin-C-reiche Walhaut gilt als Delikatesse. Aus dem „Blubber“ kann Tranöl gewonnen werden. Die Stosszähne sind aufgrund des wertvollen Elfenbeins begehrt bei den Jägern.

Nebst zufrierendem Meereis ist der Mensch der grösste Feind des Narwals. Ansonsten hat das „Einhorn der Meere“ nur noch ab und zu Schwertwale und Eisbären zu fürchten.

Erstellt: 10.06.2014
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