Zellen & Moleküle

Die Amöbe – Eine Räuberin züchtet sich ihre Beute

Amoeba proteus mit einem kleinen Pflanzenstück

Gefrässiger Einzeller: Mit ihren «Scheinfüsschen» umfliesst die Amöbe ihre Beute und schliesst sie in eine rundförmige Nahrungsvakuole ein (im Bild eine Amoeba proteus mit einem kleinen Pflanzenstück). Bild: Eckard Voelcker/www.penard.de

Amöben leben wie im Schlaraffenland: Sie laben sich an Bakterien und fördern gleichzeitig deren Wachstum. Das kommt auch den Böden zugute.

Fressen und gefressen werden – das gilt nicht nur in der Savanne, sondern auch bei den Mikroorganismen im Bodenreich. Einer der raffiniertesten Räuber ist die Amöbe: Sobald sie auf eine Beute trifft, ändert sie ihre Gestalt und bildet kleine Ausstülpungen ("Scheinfüsschen"), mit denen sie die Beute fängt und ins Zellinnere befördert.

Das Spektakel ist allerdings nur mithilfe eines Mikroskops zu sehen. Die Amöben sind winzig kleine Einzeller, die in dünnen Wasserfilmen zwischen den Bodenkrümeln kriechen – je nach Art erreichen sie ein Körpermass von 0.005 bis 0.5 Millimeter. Noch winziger ist ihre Beute: Bakterien, Pilze, Algen und Pflanzenreste, Geissel- und Wimperntierchen. Die Beutetiere können aber auch grösser sein, wenn die Amöben in Gruppen jagen.

Im Boden nehmen die Amöben eine wichtige Rolle ein: Als Räuber prägen sie die Entwicklung der Mikrofauna. Paradoxerweise fördern sie das Wachstum von Bakterien, indem sie diese dezimieren – ähnlich dem Förster, der die grossen Bäume im Wald fällt und Platz schafft für die jungen. Ohne Feinde würden die Bakterienstämme (zu) rasch wachsen, ihre Lebensgrundlagen übernutzen und plötzlich komplett "einbrechen". Dies hätte negative Folgen auch für die Qualität des Bodens, denn Bakterien zählen zu den wichtigsten Bodenarbeitern: Sie zersetzen organische Abfälle, bereiten Nährstoffe auf, stimulieren das Wurzelwachstum und filtern Schadstoffe aus dem Boden. Jede Bakterienart übernimmt dabei eine spezifische Aufgabe.

Unterschiedliche Beuteschemas

Die Amöben ihrerseits fressen nicht alle dieselben Bakterien: Jede Amöbenart hat ihr Beuteschema und beeinflusst so die Zusammensetzung einer Bakteriengemeinschaft. Über die Arten- und Lebensraumvielfalt der Amöben ist allerdings nur wenig bekannt. Sie dürfte grösser sein als bisher angenommen: Die Biologen Edward Mitchell und Thierry Heger von der Universität Neuenburg haben bei genetischen Untersuchungen von Amöben aus 42 Mooren jüngst nachgewiesen, dass sich hinter einer bisher als homogen betrachteten Amöbenart tatsächlich zwölf genetische verschiedene Arten verbergen.

Ihre guten Dienste für den Boden und die Landwirtschaft sind nicht auf die Bakterienzucht beschränkt: Amöben fördern auch das Recycling von Nährstoffen im Boden. Nach dem «grossen Fressen» setzen sie den in den Bakterien gebundenen Stickstoff wieder frei und versorgen so die Pflanzen kontinuierlich mit Dünger. Damit tragen sie auch wesentlich zur Ernährungssicherheit bei.

Das Jahr 2015 wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr der Böden erklärt. Um die Bedeutung der Bodenlebewesen für den Menschen sichtbar zu machen, stellten das Bundesamt für Umwelt BAFU und das Nationale Forschungsprogramm "Ressource Boden" (NFP 68) jeden Monat einen Organismus vor.

Erstellt: 11.01.2015
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