Portraits

Jasmine Ho, Neurowissenschaftlerin an der Universität Zürich

Jasmine Ho

Jasmine Ho demonstriert VR-Brille und Tracker (s. Text). Bilder: Jasmine Ho

Jasmine Ho, Neurowissenschaftlerin am Psychologischen Institut der Universität Zürich, forscht an Anwendungen der virtuellen Realität (VR) im Bereich der Schmerztherapie sowie der Plastizität des körperlichen Selbst.

Technoscope: Jasmine Ho, wie kann VR in der Neuropsychologie von Nutzen sein?

Jasmine Ho: VR kann in verschiedenen Bereichen angewendet werden, wie der Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen, bei chronischen Schmerzen oder Phobien. Der Patient kann damit in eine bestimmte Situation versetzt werden und z. B. mit seiner Höhenangst in einer kontrollierten Umgebung konfrontiert werden. Das ist möglich, weil VR ein starkes Gefühl der Präsenz induziert, das Gefühl, dass man sich an einem Ort befindet.

Woran forschen Sie zurzeit?

Ich untersuche den Effekt von VR bei chronischen Schmerzen. Chronische Schmerzen hängen mit einem verzerrten Körperbild zusammen. Ein Patient könnte zum Beispiel seinen schmerzenden Arm als gross und geschwollen wahrnehmen, obwohl er das gar nicht ist. Mithilfe eines Avatars kann man diesem verzerrten Bild entgegenwirken. Der Patient sieht dann über eine VR-Brille einen Körper, den sein Gehirn als den eigenen interpretiert. Hat dieser Avatar einen verkleinerten oder durchsichtigen Arm, kann dies das Schmerzgefühl reduzieren.

Wie funktioniert das technisch?

Der Patient trägt Tracker (Sensoren) am Handgelenk. Basisstationen im Raum registrieren seine Handbewegungen und mit inverser Kinematik wird die Bewegung des ganzen Arms nachvollzogen. Der Avatar vollzieht zeitgleich die gleiche Bewegung wie der eigene Körper, was der Patient über die VR-Brille wahrnimmt. In einer weiteren Studie, die wir gerade abschliessen, untersuchen wir den Effekt von VR auf Menschen mit Body Integrity Disphoria (BID), die einen eigenen Körperteil (z. B. ihr Bein) als fremd und unerwünscht empfinden. Diese Patienten bekommen einen Avatar, bei dem der störende Körperteil fehlt, während wir ihre Hirnaktivität untersuchen.

Und wie funktioniert es aus Sicht der Neurowissenschaft?

Durch die visuomotorische oder visuotaktile Koherenz (d. h. zeitgleichen Bewegungen oder taktilen Reize) zwischen Avatar und eigenem Körper. Man spricht von Bottom-up Signalen, also sensorischen Inputs, die das Gehirn vom Körper bekommt, wie visuelle oder taktile Reize. Dann gibt es Top-down Signale wie das Wissen über mein Selbst und die bisherigen Erfahrungen mit meinem Körper. Das Gehirn integriert diese beiden Signalarten und akzeptiert den Avatar als eigenen Körper. Der Avatar muss dafür nicht perfekt sein. Wir verwenden generische Avatars, also kein exaktes Abbild des jeweiligen Patienten, und passen nur die Körpergrösse an.

Brauchen Sie für Ihre Forschung Programmierkenntnisse?

Es ist sicher hilfreich, für angehende Neurowissenschaftler und Psychologen aber auch in jedem anderen Forschungsbereich, zumindest ein Grundverständnis zu haben, wie Programmieren funktioniert. Es hilft einem strukturiert zu denken und vorzugehen. Statistische Analysen und das Programmieren experimenteller Aufgaben sind in vielen Forschungsbereichen notwendig. Für meine Tests mit Patienten programmiere ich für das VR die Grundlagen wie den Raum, das Skelett und den Avatar, die tiefere Programmierung für die Kinematik wird von einem Programmierer erstellt.

Wieweit ist die Technologie ausgereift?

VR in der Neurowissenschaft ist noch im Forschungsstadium und es gibt immer technische Probleme wie Softwareupdates, die einen Teil des Codes lahmlegen, oder Probleme beim Tracking. Bei den Avatars und dem Body-Tracking ist noch grosses Entwicklungspotential, sicher ein interessantes Feld für angehende Programmierer.

Erwarten Sie, dass die Effekte der VR-Behandlung langfristig anhalten, dass morphologische Änderungen im Gehirn stattfinden?

Das würden wir gerne in einer späteren Studie untersuchen. Bei Patienten mit chronischen Schmerzen weiss man aus herkömmlichen Therapien (mittels Spiegeltherapie oder Touchtherapie), dass sich die für den Schmerz zuständigen Hirnregionen normalisieren. Bei Patienten mit BID ist das Ziel nicht, das Selbstbild des Patienten zu "korrigieren", denn das ist ein Teil seiner Identität. Hier geht es vielmehr darum, dem Patienten zu helfen, mit seinem Leiden umzugehen. Ich war selbst überrascht, dass Studienteilnehmer auch Wochen nach der Therapie über positive Effekte berichteten. Wir möchten deshalb eine Nachfolgestudie anschliessen, um mögliche bleibende Effekte im Gehirn zu untersuchen.

Was sind die Vor- und Nachteile verglichen mit herkömmlichen Behandlungsmethoden?

VR ist im Vergleich zu schmerzstillenden Drogen weniger invasiv und zeigt nur wenige Nebenwirkungen wie Schwindel oder Übelkeit. Natürlich muss noch genauer untersucht werden, ob z. B. bei BID-Patienten das Risiko besteht, den Amputationswunsch zu vergrössern oder bei Schmerzpatienten die Schmerzen verstärkt werden. Wenn man an die Opioid-Krise in den USA denkt, könnte VR dazu beitragen den Gebrauch von Opioiden zu senken. Insgesamt hat VR sicher grosses Potential, aber es wird natürlich nicht die Lösung aller Probleme sein. Ich sehe VR nicht als Ersatz herkömmlicher Therapien, sondern als Ergänzung.

In einer weiteren Studie untersucht Jasmine Ho den Effekt von VR auf Menschen mit Body Integrity Disphoria (BID), die einen eigenen Körperteil als fremd und unerwünscht empfinden. Diese Patienten bekommen einen Avatar, bei dem der störende Körperteil (hier ein Bein) fehlt, während ihre Hirnaktivität untersucht wird.

Bild: Jasmine Ho

In diesem Video begleitet man einen BID-Patienten, der an der Studie von Jasmine Ho teilnimmt.

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Weitere Anwendungen der virtuellen Realität in der Medizin findest du im gleichnamigen Artikel.

Erstellt: 21.04.2021
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