Technik & Materialien

Auf dem Weg zur ständigen Selbstüberwachung

Vincent Martinez, Flurin Stauffer, Serge Weydert von Nanoleq

Von links nach rechts: Der Materialingenieur Vincent Martinez hat einen Doktortitel in Mikrotechnologie der ETH Zürich. Zusammen mit seinen Studienkollegen Flurin Stauffer (Biomedizin) und Serge Weydert (Mikrotechnologie und Neurowissenschaften) hat er 2017 Nanoleq gegründet.. Bild: Nanoleq

Mit einer revolutionären Kabeltechnologie für Wearables hat sich das ETH-Spin-off Nanoleq einen Namen gemacht. Sein Co-Gründer Vincent Martinez erzählt.

Technoscope: Sie haben soeben Oxa lanciert, ein vernetztes T-Shirt, das beim Atmen hilft. Warum brauchen wir dabei Hilfe?

Vincent Martinez: Mit dem ersten Atemzug beginnt unser Leben. Aber Atmen ist viel mehr als ein Mittel, um unseren Körper mit Sauerstoff zu versorgen – östliche Kulturen wissen seit Jahrhunderten, dass es einen enormen Einfluss auf die Gesundheit hat. Atem ist eng mit unserem Nervensystem verbunden. Je nachdem, wie wir atmen, aktivieren wir den Sympathikus, den Teil des Nervensystems, der unseren Körper in Kampf- oder Fluchtbereitschaft versetzt, oder den Parasympathikus, der Ruhe- und Erholungsphasen reguliert. Wer bewusst atmen lernt, kann sich besser entspannen, ruhiger schlafen und sich stärker konzentrieren. Oxa unterstützt uns dabei – mit meditationsähnlichen Atemübungen, die aufgebaut sind wie ein packendes Spiel. Tragen kann man es zu Hause oder unter der normalen Kleidung auch unterwegs.

Was stand am Anfang Ihres Erfolges?

Ein Kabel, bieg- und dehnbar wie ein Gummiband. Entwickelt haben wir es dank unserem an der ETH Zürich im Bereich innovativer Materialien erworbenen Fachwissen. So etwas gab es in der Kabelindustrie zuvor nicht. Besonders interessant ist es für Textilunternehmen, welche wasch- und dehnbare Elektronik für intelligente Textilien brauchen. Mit Oxa präsentieren wir nun unser eigenes, von A-Z selbstentwickeltes Wearable: Neben den intelligenten Elektroden im T-Shirt gehören dazu ein Sensor, Algorithmen zur Erhebung der richtigen Daten und eine mobile App.

Was können intelligente Textilien besser als andere Wearables?

Sie sitzen viel näher an lebenswichtigen Organen wie dem Herz oder der Lunge. Deshalb liefern sie ein sehr präzises Bio-Feedback in Echtzeit. Eine Smartwatch hingegen zeigt Durchschnittswerte an, die über Minuten (z. B. Herzfrequenz), Stunden oder Tage (z. B. Stresslevels) ermittelt wurden. Diese Informationen sind oft zu wenig präzis, um daraus praktische Schlüsse zu ziehen. Bei Oxa liefern medizinische Sensoren die hochpräzisen Daten, aus denen unser Wearable genau auf die einzelnen Userinnen und User zugeschnittene Atemübungen ableitet: Respiratorische Induktionsplethysmografie für die Atmung, Elektrokardiografie für das Herz, Infrarotsensorik für die Hauttemperatur.

Was bringt Selbstvermessung, solange die meisten Leute deren Ergebnisse gar nicht richtig interpretieren können?

Das ist eine interessante Frage. Ich bin überzeugt, dass wir auf dem Weg zur ständigen Selbstüberwachung sind. Denn wenn wir unsere Gesundheit verstehen, dann gehört sie uns. Heute kommt das Gesundheitssystem erst spät, wenn jemand also schon krank ist, mit einer Diagnose daher. In Zukunft wird es wichtiger sein, so lange wie möglich gesund zu bleiben. Gesundheit ist unser höchstes Gut – und deshalb sollten wir alle lernen, unsere eigenen Ärzt:innen zu werden.

Zuletzt geändert: 03.02.2023
Erstellt: 03.02.2023
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