Technik & Materialien

Das alte Plastik und das Meer

Auf der Meeresoberfläche schwimmender Plastikmüll ist nur die Spitze des Eisbergs. Der grösste Teil befindet sich auf dem Meeresboden oder in der Wassersäule dazwischen. Bild: CanStockPhoto

Wenn Plastikabfälle in Gewässer gelangen, dann werden sie langsam zerbröselt. Die UV-Strahlung der Sonne macht sie mürbe, Wellen und Strömungen oder der Abrieb auf Sand und Gestein zerstückeln sie zu Mikroplastik: winzige Fragmente mit einem Durchmesser von unter 5 Millimetern. Auch grössere Plastikteile schwappen im Meer. Mehr als 100 Millionen Tonnen Kunststoff haben sich in den Ozeanen bereits angesammelt. Von den Strömungen getrieben, sammelt sich dieser Plastikmüll zu riesigen Müllteppichen oder Müllstrudeln an. Einer davon, der "Great Pacific Garbage Patch", soll dreimal so gross sein wie Frankreich. Diese Berge an Plastikmüll haben verheerende Folgen für das Leben der Meere und schlussendlich auch für uns Menschen.

Bild: Rahel Beck

Das Meer ertrinkt im Abfall

Biologin Rahel Beck, wissenschaftliche Mitarbeiterin von OceanCare, einer Schweizer Meeresschutzorganisation, die sich für den Schutz von Meerestieren und gegen die Verschmutzung der Meere engagiert, ist seit 2011 auch als Sonderberaterin in diversen Gremien der Vereinten Nationen.

Technoscope: Wie kommt Plastik überhaupt bis ins Meer?

Rahel Beck: Von der Schweiz gelangt Plastik durch die Windvertragung von Littering über Seen und Flüsse ins Meer. Ins Wasser gelangen auch der Reifenabrieb sowie Mikroplastik aus Düngemitteln, Fassadenanstrichen oder Strassenmarkierungen, Reinigungsmitteln, Kosmetika und die Mikrofasern, die beim Waschen aus Mischgeweben gespült werden. Und weil unsere Abwasserreinigungsanlagen zwar sehr gut sind, aber eben doch nicht alles herausfiltern können, geht die Reise dann Richtung Meer weiter: über den Rhein in die Nordsee, die Rhone ins Mittelmeer und den Inn ins Schwarze Meer.

Und im Meer treibt es dann in riesigen Strudeln.

Genau. Strömungsbedingt sammeln sich die Abfälle, die vom Land oder von Schiffen ins Meer geraten. Doch für mich sind diese Strudel viel weniger erschreckend als die Tatsache, dass sich nur etwa ein Prozent der Plastikabfälle an der Oberfläche befindet. Der Rest, so wird vermutet, ist entweder bereits bis auf den Meeresboden gesunken oder schwebt irgendwo in der Wassersäule dazwischen.

Woher kommt das?

Plastik ist eben nicht gleich Plastik. Es gibt über 200 Kunststoffarten. Diejenigen, die eine höhere Dichte als Wasser aufweisen, sinken automatisch. Die häufigsten Verpackungskunststoffe hingegen, Polyethylen und Polypropylen, sind leichter als Wasser und schwimmen obenauf. Zumindest solange, bis sich Algen oder Bakterien auf ihnen ansiedeln, dann werden auch sie schwerer und sinken. Was oben schwimmt, selbst die riesigen "Plastikkontinente", sind also sozusagen nur die Spitze des (Plastik-)Eisberges. Der Rest ist unsichtbar. Das macht es in unseren Augen fast unmöglich, Plastik aus dem Meer und insbesondere aus der Tiefsee wieder zu entfernen. Denn das ist, für ein bescheidenes Resultat, mit einem riesigen Aufwand an Energie und Ressourcen verbunden. Und wie soll sichergestellt werden, dass nicht auch das herausgeholt wird, was eigentlich drinbleiben sollte – also Lebewesen und Pflanzen? Hier äussern Meeresbiologen seit Jahren grosse Bedenken. Genau deshalb ist es so wichtig, dass Kunststoffabfälle gar nicht erst ins Meer gelangen.

Welche Schäden richtet Plastik im Meer an?

Dass Plastik fast nicht abbaubar ist, ist nur ein Problem. Das andere Problem ist, was es in der Umwelt bewirkt. Da ist einerseits die Gefahr, dass sich Tiere in Plastikabfällen und alten Fischernetzen verheddern und auf schreckliche Art verenden. Dazu kommt, dass bei der Zersetzung grösserer Plastikteile zu Mikropartikeln der toxische Cocktail freigesetzt wird, mit dem viele Plastikarten angereichert sind. Dazu gehören das hormonaktive und nervenschädigende Bisphenol A oder das krebserregende Styrol. Über die fatalen Folgen, die das für Meerestiere hat, wissen wir inzwischen recht viel. Über die Effekte von Mikroplastik auf den Menschen hingegen ist bisher nur wenig bekannt.

Umso mehr müssen Sie bei OceanCare sich über das Plastikverbot der EU oder den Verzicht der Schweizer Detailhändler auf Gratis-Plastiksäckli freuen?

Es ist ein Anfang. Die EU-Einweg-Plastik-Richtlinie könnte viel strenger sein. Stattdessen versucht sie, zu viele Spezialinteressen unter einen Hut zu bringen. Auch in der Schweiz könnte mehr getan werden. Statt gewisse Produkte zu verbieten oder durch Alternativen zu ersetzen, die selber nicht immer unproblematisch sind, wäre es viel besser, sie gleich von Anfang an nicht als Einwegprodukte zu konzipieren.

Was kann der oder die Einzelne tun?

Sehr viel! Das ist wahrscheinlich die beste Seite an der ganzen Plastikproblematik: Um nur ein Beispiel zu nennen: Wer kein Plastikröhrchen mehr verwendet, kann zwar vielleicht nicht gerade die Welt retten. Aber über den eigenen Konsum lässt sich wirklich sehr viel bewirken. Der oder die Einzelne kann sehr viel gegen die Plastikproblematik tun.

Hier findest du eine Liste von Projekten, die das Meer von Plastikmüll säubern wollen.

Erstellt: 03.11.2020
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