Früher Morgen. Auf dem Neuschnee glitzert bereits die Sonne, als Nico und sein Freund in der Bergstation aus der Kabine drängen.
So schnell wie möglich auf die Bretter und dann nichts wie los, quer über die markierte Piste hinaus zum Waldrand. Denn dort liegt der Schnee noch unberührt und tief. Den halben Vormittag powdern die beiden, dass es nur so spritzt. "Ich mach jetzt mal Pause", sagt der Freund gegen Mittag in der Kabine. "Man sieht sich", antwortet Nico und fährt allein los.
Dass Nico hungrig ist, und das Wetter umgeschlagen hat, verdrängt er. Dass auch die Sicht besser sein könnte, merkt er zu spät: Er schätzt die Distanz falsch ein, der Sprung missglückt, er stürzt. Rund um ihn wird es dunkel.
Ein Freerider, allein, schwer verletzt, ohnmächtig im Schnee: Dass diese Geschichte trotzdem gut endet, verdankt Nico einer App, die er seinen Eltern zuliebe auf seinem Smartphone installiert hat: Uepaa. Uepaa kann selbst aus einem Funkloch heraus die Rettungsflugwacht allarmieren, indem sie alle Handys in der Umgebung ortet und zwischen ihnen ein Netz aufbaut. Und zwar tut sie das, wenn der Verunfallte nicht selber Hilfe anfordern kann, ganz von selber: Dann versucht sie zuerst, Personen im näheren Umkreis zu alarmieren. Antwortet niemand, nimmt sie als nächstes direkt mit der Notrufzentrale Verbindung auf. "Totmann-Alarm" heisst diese Funktion.
Inzwischen hat es zu schneien begonnen. Nebel zieht auf. Dank dem Instrumentenflugverfahren (IFR), das Flüge bei schlechter Sicht ermöglicht, kann der Rettungshelikopter trotzdem fliegen. Zudem macht ein Synthetic-Vision-System den Piloten auch bei schlechten Sichtverhältnissen auf mögliche Gefahren und Hindernisse aufmerksam. Um den ohnmächtigen Nico zu bergen, müssen die Rettungssanitäter die Winde einsetzen, wie immer, wenn sie nicht in der Nähe der Verunfallten landen können.
Im Helikopter wird der Bewusstlose auf die Roll-In-Trage gebettet. Dank dem darunter geklappten Fahrgestell wird die Crew ihn bei der Ankunft im Krankenhaus nicht auf eine neue Trage betten müssen. Vor allem aber wird die Roll-In-Trage ihn vom Helikopterlandeplatz bequem bis zum Operationssaal rollen können. Das freut die Notärztin besonders: Sie befürchtet nämlich, dass Nico sich an der Wirbelsäule verletzt haben könnte, und will ihm unnötige Erschütterungen beim Transport möglichst ersparen.
Inzwischen ist es Nacht. Nico, bereits unter Vollnarkose, liegt im OP. Seine Eltern sitzen im Wartezimmer. Seit sie mit der Chefärztin sprechen konnten, sind sie ruhiger. Die Verletzung des Rückenmarks ist minim und sollte höchstens vorübergehende Lähmungserscheinungen verursachen. Dafür bereitet den Ärzten Nicos Knieverletzung Sorgen: Das Gelenk ist praktisch zertrümmert und muss durch eine Prothese ersetzt werden.
Trotzdem sind sie zuversichtlich. Mithilfe der 3D-Operationsplanung haben sie den hochkomplizierten Eingriff Schritt für Schritt an einem dreidimensionalen Computermodell am Bildschirm simuliert und die Form der benötigten Prothese passgenau berechnet. Dafür wird der Computer mit Bilddaten, beispielsweise von Röntgenaufnahmen oder MRT-Bildern, gefüttert. Die so errechneten Modelle können auch in einen 3D-Drucker importiert und ausgedruckt werden.
Dieses präzise Abbild seines Knies hält Nico ein paar Tage später in der Hand. Noch liegt er ziemlich groggy im Krankenhausbett, aber er gibt sich Mühe, den Worten des Oberarztes zu folgen. Der Mann im weissen Kittel erklärt ihm anhand des 3D-Modells haargenau, was mit seinem Knie passiert ist und warum es jetzt einiges brauchen wird, bis es wieder voll funktioniert. "Aber du hast Glück", sagt er, "nächste Woche kommst du in den Lokomat."
Während ihn eine Krankenpflegerin im Rollstuhl durch die Gänge schiebt, schwört sich Nico, niemanden merken zu lassen, wie sehr er sich davor fürchtet, wieder gehen lernen zu müssen. Wenig später hängt er mit Gurten und Schlaufen gesichert über einem Laufband, die Hüften, Knie und Füsse in ein Gerät eingespannt, in dem Elektromotoren summen. Während einer halben Stunde gibt dieser Gehroboter den Takt vor, setzt mit der genau richtig dosierten Unterstützung und im richtigen Tempo einen seiner Füsse vor den anderen. So werden Bewegungsmuster reaktiviert und trainiert, die dem Körper durch den Unfall abhandengekommen sind. Nach dem Training ist Nico fix und fertig. Aber zuversichtlich: "Das kriegen wir hin", hat die Pflegerin gesagt. Und Nico weiss, dass sie recht hat.
Hast du gewusst?
- Ein Talent für Präzisionsarbeit, Tüftelei, Erfindungsgeist. Das macht die Schweiz zum Land der Uhrenmacher, richtig? Nicht nur: Die Uhrenindustrie hatte 2019 rund 58’000 Mitarbeitende. Die Schweizer Medtech-Industrie 63’000.
- Die Schweiz weist eine einzigartige Dichte an Medtech-Unternehmen auf. In keinem anderen Land der Welt trägt die Medizintechnik so viel zum Bruttoinlandsprodukt bei.
- Das macht sie auch zum Innovationschampion: Pro Million Einwohner meldete die Schweiz 2018 europaweit die meisten Patente an.
- International führend ist die Schweiz bei Implantaten, Hörgeräten, Injektionssystemen und in der Orthopädie (künstliche Gelenke, Schrauben und Platten).
- Aber die Konkurrenz ist hoch: In keinem anderen Technologiefeld in Europa gibt es mehr Innovation. 2018 wurden 13’795 Medtech-Patente angemeldet. Mehr und mehr davon im Bereich smarter Datenverarbeitung und künstlicher Intelligenz.