Tiere & Pflanzen

Winziger Kraftprotz im Dienste der Wälder

Tausendfüsser

Die Gallmilbe (Aceria anthocoptes) ist höchstens 0,3 mm gross und ernährt sich von Pflanzensäften. Zu ihren wichtigsten natürlichen Feinden zählen die Raubmilben, die im Obst- und Beerenbau als Nützlinge eingesetzt werden. Bild: Eric Erbe, Agricultural Research Service

Gut eine halbe Million Blätter lässt eine 100-jährige Buche jährlich fallen, die sich unter ihrer Krone zu einer Laubschicht von 5 bis 10 Zentimetern Höhe anhäufen. Milben gehören zu den ersten Zersetzern vor Ort. Sie sorgen dafür, dass unsere Wälder nicht im eigenen Laub ersticken.

Das stärkste Tier der Welt? Nein, weder das Pferd, noch der Elefant und auch nicht die Ameise darf sich mit diesem Titel brüsten, sondern eine 0,7 Millimeter kleine Hornmilbe der Art Archegozetes longisetosus. Das in den Tropen verbreitete Spinnentierchen kann das 1180-fache seines Körpergewichts stemmen. Übertragen auf einen 70 Kilogramm schweren Menschen, müsste dieser 82,6 Tonnen hochheben, ein Gewicht von zirka 24 Kleinlastern. Wofür die Hornmilbe ihre beeindruckenden Kräfte braucht, ist nicht vollständig geklärt. Wissenschaftler vermuten, dass sie auf ihrer unterirdischen Suche nach verfaulenden Organismen mit den Grabklauen oft schwere Erdbrocken beiseite räumen und sich zudem vor Fressfeinden schützen muss.

Bis zu 400'000 Milben pro Quadratmeter Boden

Rund die Hälfte der knapp 40'000 bekannten Milbenarten lebt in den Streu- und obersten Bodenschichten, in einer Tiefe von 5 bis maximal 10 Zentimetern. Die bepanzerten Bodenbewohner sind auf jeweils eine Schicht spezialisiert und unterscheiden sich in Grössen von 0,1 bis 0,7 Millimeter und Form: je tiefer die Bodenschicht liegt, desto kleiner und flacher sind die Tierchen, damit sie sich in den wenigen schmalen Löchern der Krume überhaupt noch bewegen können. Milben treten meist nestartig gehäuft auf: Zwischen 100'000 und 400'000 Individuen besiedeln einen Quadratmeter Boden von 30 Zentimeter Tiefe. In verdichteten oder mit Pestiziden belasteten Böden ist ihre Zahl jedoch deutlich kleiner.

Dünger für den Wald

Der Speiseplan der verschiedenen Milbenarten ist sehr unterschiedlich. Einige sind Aasfresser: Sie ernähren sich von toten, weichhäutigen Tierresten. Andere Arten beweiden Algen, Pilze oder Bakterienkulturen und helfen so, die Mikroorganismen im Gleichgewicht zu halten und deren Sporen im Boden zu verbreiten. Sie erledigen also die gleiche Arbeit wie die etwa dreimal so grossen Springschwänze, die allerdings die mineralischen Bodenschichten bevorzugen. Die grösste Gruppe der Milben ernährt sich von totem Pflanzenmaterial: von Rinden, Blättern und Nadeln, die sie als Erste anknabbern. Sie setzen einen Prozess in Gang, der unter Beteiligung von Käfern, Asseln, Würmern, Bakterien, Pilzen und weiteren Organismen schliesslich zu wertvollem Humus führt. Besonders bedeutend sind die Hornmilben für den Wald. Sie sind tolerant gegenüber niedrigen pH-Werten und zählen deshalb, zusammen mit den vergleichsweise grossen Tausendfüssern, zu den wichtigsten Laubzersetzern in sauren Waldböden. Ohne die gefrässigen Spinnentierchen würde der Zersetzungsprozess wesentlich langsamer ablaufen, so dass der Wald in seinem eigenen Laub erstickte.

Nützling im ökologischen Gemüse- und Weinbau

Im Wald sind auch die bekanntesten Vertreter der Milben zuhause: die Zecken. Sie zählen zu den parasitär lebenden Raubmilben, die ganz unterschiedliche Ernährungsstrategien entwickelt haben: Einige Arten setzen sich auf Insekten fest, um grössere Distanzen zu überwinden und an Futterstellen zu gelangen; andere zapfen direkt die Körpersäfte ihrer Wirtstiere an; eine dritte Gruppe profitiert als "Mitesser" vom Futter ihres Wirts, etwa vom Blütenstaub einer Hummel. Einige räuberische Arten machen Jagd auf Nematoden, Spinnmilben oder Weisse Fliegen, weshalb man sie gern als Nützlinge im ökologischen Wein- und Gemüsebau einsetzt. Auch im Kampf gegen die Varroa-Milbe in den Bienenstöcken erhofft man sich von den Raubmilben Unterstützung. Dabei setzen die Imker weniger auf die aussergewöhnliche Kraft der Räuber als vielmehr auf deren Appetit.

Das Jahr 2015 wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr der Böden erklärt. Um die Bedeutung der Bodenlebewesen für den Menschen sichtbar zu machen, stellten das Bundesamt für Umwelt BAFU und das Nationale Forschungsprogramm «Ressource Boden» (NFP 68) jeden Monat einen Organismus vor.

Erstellt: 11.01.2015
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