Zellen & Moleküle

Epigenetik: Wie die Umwelt unsere Gene beeinflusst

Die Epigenetik bestimmt welche Gene abgelesen werden, bei der Schildpattkatze wird so die Fellfarbe bestimmt. Bild: CanStockPhoto

Die Abfolge der Bausteine in den Genen eines Menschen verändert sich im Lauf des Lebens nicht. Doch sogenannte epigenetische Veränderungen beeinflussen die Produktion von Proteinen.

Viele unserer Eigenschaften sind genetisch bestimmt und werden uns von Anfang an in die Wiege gelegt. Normalerweise verändern sich die Gene nicht im Laufe des Lebens. Es kann jedoch trotzdem vorkommen, dass die Umwelt unsere Gene beeinflusst. Man nennt dies „epigenetische Veränderungen“. Diese Veränderungen sind ein ausgeklügeltes System, um gezielt auf Umwelteinflüsse (Ernährung, körperliche Aktivität, Stress …) reagieren zu können. Die Epigenetik beschäftigt sich mit solchen vererbbaren Veränderungen der Genaktivität. Im Unterschied zu genetischen Mutationen bleibt bei epigenetischen Prozessen die Abfolge der DNA-Bausteine unverändert. Epigenetische Veränderungen sind daher keine (irreversiblen) Mutationen der DNA und können wieder rückgängig gemacht werden.

Wie funktioniert Epigenetik?

Gene liegen aufgewickelt als sogenannter „DNA-Protein-Komplex“ oder „Chromatin“ im Zellkern vor. Ohne diese Verdichtung, die man sich wie ein Wollknäuel vorstellen kann, liesse sich der ungefähr zwei Meter lange DNA-Faden nicht im Zellkern unterbringen. In jeder unserer Zellen sind die gleichen Gene vorhanden. Weil aber in einer Hautzelle andere Gene aktiv sein müssen als in einer Gehirnzelle, steuert unser Körper die Aktivität der Gene, indem er bestimmte Gene wie eine Lampe an- oder ausschaltet.

Es gibt verschiedene Arten, bestimmte Kapitel im DNA-Buch unlesbar zu machen. Eine besteht darin, kleine chemische Markierungen (sogenannte Methylgruppen) an die DNA zu binden. Die Bausteine des Erbguts bezeichnet man mit den Buchstaben A, C, G und T. Methylgruppen können sich an den Baustein C (Cytosin) binden. Diese Bindung wirkt wie ein Klebstoff. Die verklebten Gene bleiben dicht verpackt und können nicht mehr oder nur schwer von der RNA-Maschinerie abgelesen werden. Dadurch bleiben diese Gene inaktiv.

Eine weitere Möglichkeit, die Lesbarkeit der Gene zu beeinflussen, sind sogenannte Histon-Modifikationen. Histone sind Proteine, die wichtig sind für den Aufbau des DNA-Protein-Komplexes im Zellkern. Um die Verdichtung des DNA-Fadens zu erreichen, werden die Fäden um die Histon-Proteine gewickelt. Durch Veränderung der Histon-Proteine können Gene abgeschaltet werden.

Epigenetik kann auch auf die RNA-Kopien der DNA wirken, die als Vorlage für die Herstellung von Proteinen dienen. Mit Hilfe von anderen kleinen RNA-Stücken, sogenannten microRNAs, kann die Produktion gewisser Proteine gehemmt werden. Dabei wird zum Beispiel die Proteinvorlage unbrauchbar gemacht, oder das Ribosom wird gestoppt.

Schildpattfärbung bei Katzen: Ein Beispiel für Epigenetik

Es gibt viele Beispiele für die Auswirkungen von epigenetischen Veränderungen. Gut beobachten kann man den Effekt der Epigenetik bei Katzen mit Schildpatt-Färbung, also mit roten und schwarzen Fellpartien. Schildpattkatzen sind praktisch immer Weibchen. Das Gen für ihre Fellfarbe – orange oder schwarz – liegt auf dem X-Chromosom. Weibliche Katzenembryos schalten früh in der embryonalen Entwicklung eines der beiden Chromosomen aus, um die Gendosis zwischen den verschiedenen Geschlechtern auszugleichen. Der Zufall bestimmt, welches Chromosom in welcher Zelle ausgeschaltet wird, so dass in den Hautzellen der Katzen entweder das Gen für orange Fellfarbe oder das für schwarze Fellfarbe aktiv ist. So kommen die weiblichen Schildpattkatzen zu ihrem ganz persönlichen, schwarz-orangen Fellmuster.

Kann man seine Gene beeinflussen?

Solche epigenetischen Veränderungen werden durch viele Faktoren beeinflusst. Gesunde Ernährung, viel Bewegung und ausreichend Schlaf können epigenetische Markierungen verändern und sich positiv auf die Gesundheit auswirken. Stress oder Nikotin hingegen können negative Auswirkungen haben. Wie Mutationen können auch epigenetische Veränderungen vererbt werden. Ein gesunder Lebensstil, kann sich also sogar auf die Nachkommen positiv auswirken!

Werden epigenetische Veränderungen vererbt?

In verschiedenen Studien wurde untersucht, wie epigenetische Veränderungen vererbt werden. Niederländische Forscher haben nachgewiesen, dass Kinder von Müttern, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg in der Schwangerschaft Hunger leiden mussten, ein erhöhtes Risiko für Diabetes hatten. Die Forscher zeigten, dass epigenetische Veränderungen der Grund für diese Anfälligkeit für Diabetes sind. Diese Veränderungen waren von den Müttern an die Kinder vererbt worden. Forscher fanden zudem heraus, dass Söhne von Männern, die während ihrer Pubertät zu viel assen, ebenfalls ein höheres Risiko haben, an Diabetes zu erkranken. Bei Töchtern hingegen wurde kein Zusammenhang gefunden. Die Forscher nehmen daher an, dass epigenetische Markierungen auf dem Geschlechtschromosom Y die Ursache für dieses Phänomen sind.

Eine weitere wissenschaftliche Studie zeigte, dass Enkelkinder, deren Grossmütter oder Grossväter unter Hunger litten, statistisch gesehen früher starben, wenn sie dasselbe Geschlecht besassen. Dies lässt vermuten, dass epigenetische Veränderungen nicht nur über eine Generation, sondern sogar über zwei Generationen vererbt werden können.

Epigenetik: Eine Art Bestätigung für eine 200-jährige Theorie

Moderne Methoden können den Effekt der Epigenetik in verschiedenen Systemen zeigen. Schon vor mehr als 200 Jahren wurden jedoch solche Effekte durch den Forscher Jean-Baptiste Lamarck beschrieben, auch wenn er sie damals noch nicht genau erklären könnte. Lamarck beschrieb 1809 seine Evolutionstheorie mit dem Bild einer kurzhalsigen Giraffe, welche durch ständige Adaption und Anpassung ihren Hals immer weiter strecken konnte. Er stellte sich vor, dass diese umweltbedingten Anpassungen an die nächsten Generationen weitergegeben werden – einen Beweis dafür hatte er jedoch nicht. Lamarcks Theorie wurde lange Zeit belächelt. Es galt als unwahrscheinlich, dass erworbene Eigenschaften weitergegeben werden. Wenn zum Beispiel ein Marathonläufer viel und gut trainiert, heisst das nicht, dass seine Kinder gut trainiert auf die Welt kommen.

50 Jahre später veröffentlichte Charles Darwin seine Theorie über die natürliche Selektion. Diese besagt, dass manche Giraffen zufällig mit einem längeren Hals geboren werden und dadurch einen Vorteil haben, welchen sie an die nächste Generation weitergeben. Darwins Theorie galt als bestätigt, als man in den Genen Mutationen fand, welche seine Theorie stützten.

Mit der Epigenetik erlebt Lamarcks Theorie jedoch eine Rückkehr, denn die Epigenetik scheint Lamarcks Theorien zumindest teilweise zu bestätigen: Epigenetische Markierungen scheinen selbst über mehr als eine Generation hinweg vererbbar zu sein.

Welt der Gene: Alle Artikel

Reise durch die Zelle | Im Zellkern sind die Chromosomen | Chromosomen sind aufgewickelte Gen-Fäden | Gene sind Protein-Baupläne | Funktionen der Proteine | Mutationen | Epigenetik: Wie die Umwelt unsere Gene beeinflusst

Zurück zur Übersicht: Das Gene ABC

Zuletzt geändert: 29.04.2021
Erstellt: 29.04.2016

Dieser Beitrag integriert Inhalte von der ehemaligen Website gene-abc.ch, die im Jahr 2016 von SimplyScience übernommen wurde. Das Gene ABC war eine Initiative des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) und umfasste auch eine Reihe von YouTube-Videos.

Mehr