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Ethik und Gentests

Bild: CanStockPhoto

Die Veranlagung für bestimmte Erbkrankheiten lässt sich mit Gentests schon feststellen, bevor erste Symptome auftreten. Dies führt zu heiklen ethischen Fragen.

Mit Gentests lassen sich Erbkrankheiten diagnostizieren, lange bevor diese ausbrechen. Zeigt der Gentest, dass eine schwere Erbkrankheit vorliegt, hat dies weitreichende Folgen für das ganze Leben der Betroffenen. Der Umgang mit der Diagnose ist individuell sehr verschieden. Manche Personen begrüssen die Möglichkeit abzuklären, ob sie von einer bestimmten Krankheit betroffen sind oder nicht. Andere Personen verzichten bewusst darauf.

Ethische Aspekte bei der Durchführung von Gentests an Erwachsenen

Wenn zur Diskussion steht, ob eine erwachsene Person einen Gentest durchführen lassen soll oder nicht, müssen alle vier Prinzipien der Medizinethik beachtet werden.

  • Recht auf Selbstbestimmung
    Der Entscheid für oder gegen einen Test sollte erst nach gründlicher Beratung gefällt werden. Wird mit einem Test eine Erbkrankheit festgestellt, heisst das für alle Familienmitglieder, dass sie ebenfalls von der Krankheit betroffen sein könnten. Vielleicht möchten sie die entsprechende Information aber nicht erhalten. Hier gilt es, Lösungen zu suchen, die das Recht auf Selbstbestimmung aller Betroffenen respektieren. Das heisst für die einen das Recht auf Wissen, für die anderen jedoch das Recht auf Nichtwissen.

  • Gerechtigkeit
    Für Personen, die von ihrer Erbkrankheit wissen, ist der Schutz vor Diskriminierung zentral. Auf dem Arbeitsmarkt, bei der medizinischen Versorgung oder im Versicherungswesen dürfen diese Personen nicht benachteiligt werden. Heute ist dies durch verschiedene Gesetze sichergestellt.

  • Fürsorge
    Personen, die sich für einen Gentest interessieren, müssen einfühlsam, aber neutral beraten werden. Es gilt, sie darin zu unterstützen, das Resultat des Tests zu verarbeiten und in den persönlichen Lebensentwurf zu integrieren.
  • Nicht-Schaden
    Wenn eine Krankheit frühzeitig erkannt wird, verzögert das unter Umständen ihren Ausbruch und beeinflusst ihren Verlauf positiv. So können zum Beispiel Therapien rechtzeitig begonnen werden, und die Patientin oder der Patient passt vielleicht seine Ernährung und seine Lebensgewohnheiten an.

Ethische Aspekte bei der Durchführung von Gentests am Embryo

Die vorgeburtliche Diagnostik macht es möglich, gewisse Krankheiten beim ungeborenen Kind nachzuweisen oder auszuschliessen. Neben Untersuchungsmethoden wie Ultraschall gibt es auch Gentests für das ungeborene Kind. Diese können durchgeführt werden, wenn es in der Verwandtschaft eine schwere Erbkrankheit gibt, von der das Kind betroffen sein könnte. Mit dem Gentest wird gezielt nach bestimmten Gendefekten gesucht, die zu schweren Krankheiten führen (wie zum Beispiel einem stark geschwächten Immunsystem oder Muskelschwund).

Diagnostik während der Schwangerschaft

Bei der Pränataldiagnostik (PND) geschieht der Gentest während der Schwangerschaft. Im Falle eines krankhaften Befundes müssen sich die Eltern für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden. Oft kennen die werdenden Eltern die Behinderung gut, weil sie mit einem Elternteil oder Geschwistern aufgewachsen sind, die von der Krankheit betroffen waren oder sind. Sie haben erlebt, dass die Betroffenen eine (stark) eingeschränkte Lebensqualität hatten. Es kann sein, dass sich die Eltern nicht vorstellen können, ihrem eigenen Kind wissentlich dasselbe zuzumuten. Diese Überlegungen gilt es zu respektieren. Ein Abbruch der Schwangerschaft bleibt dennoch ethisch heikel und ist sehr belastend. Für strikte Gegnerinnen und Gegner von Abtreibungen ist das heranwachsende Kind unantastbar. Für sie gibt es in der Güterabwägung keine Gründe, die so wichtig sind, dass das Leben des Fötus beendet werden darf.

Diagnostik vor der Schwangerschaft

Bei Embryonen, die im Labor gezeugt werden, kann bereits kurz nach der In-vitro-Befruchtung eine Präimplantationsdiagnostik (PID) durchgeführt werden. Bei der Untersuchung ist der Embryo wenige Tage alt und befindet sich ausserhalb des Mutterleibes. Die Frau ist also noch nicht schwanger. Ziel der PID ist es, nur Embryonen in die Gebärmutter zu übertragen, bei denen der Gentest zeigte, dass der Embryo nicht von der Krankheit betroffen ist. So kann ein belastender Schwangerschaftsabbruch vermieden werden. Die PID bietet sich daher an für Paare, die sich trotz dem Vererbungsrisiko eigene gesunde Kinder wünschen. Diese Überlegungen sprechen in der Güterabwägung für die Durchführung einer PID.

Andere Gründe sprechen gegen die PID: Die Frau kann nicht auf natürlichem Weg schwanger werden, sondern das Paar muss eine Laborbefruchtung durchführen lassen. Dies ist mit gesundheitlichen Risiken für die Frau und Belastungen für das Paar verbunden. Ein anderer Grund ist die Befürchtung, dass dieses Diagnoseverfahren missbraucht werden könnte, etwa zur Auswahl von Kindern mit bestimmten Eigenschaften, die den Vorlieben der Eltern oder der Gesellschaft entsprechen. In der Schweiz ist eine solche Auswahl aus nichtmedizinischen Gründen gemäss Fortpflanzungsmedizingesetzt nicht erlaubt. Aus ethischer Sicht besonders heikel ist, dass sowohl bei der PID als auch bei der PND Embryonen getestet werden und bei einem krankhaften Befund ihre Weiterentwicklung gestoppt wird. Da wir dem Embryo gegenüber eine Schutzpflicht haben, sind immer hochrangige Gründe nötig, um zu rechtfertigen, dass das Leben eines Embryos beendet wird. Diesen Überlegungen folgt auch das oben erwähnte Gesetz: Es wäre zum Beispiel ethisch verwerflich, wenn ein Paar alle männlichen Embryonen aussortieren würde, nur weil es gerne ein Mädchen hätte. Dieser Wunsch ist kein hochrangiger Grund. Man darf Embryonen nie leichtfertig absterben lassen.

Regulierung

Um möglichen Missbrauch zu verhindern, muss die PID klar geregelt sein und darf nur erlaubt sein, wenn ethisch vertretbare Gründe vorliegen. Heute ist die PID in der Schweiz (und anderen Ländern) für Paare zugelassen, in deren Familie schwere Erbkrankheiten vorkommen. In welcher Situation konkret die Durchführung einer PID gerechtfertigt ist, wird unterschiedlich beurteilt. Die meisten Länder kennen Begrenzungen, einige lassen hingegen sogar die Auswahl eines Mädchens oder eines Buben zu. In gewissen Ländern ist die Durchführung der PID verboten, andernorts ist die PID noch nicht geregelt oder bislang verboten. Dabei stellt sich die Frage, die auch die Ethik zu beantworten sucht: Für welche Fälle ist es verantwortbar, die PID zu erlauben?

Erstellt: 22.04.2018

Dieser Beitrag integriert Inhalte von der ehemaligen Website gene-abc.ch, die im Jahr 2016 von SimplyScience übernommen wurde. Das Gene ABC war eine Initiative des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) und umfasste auch eine Reihe von YouTube-Videos.

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