Körper & Gesundheit

Fleisch aus der Zellkultur – eine Alternative zur Viehzucht?

Anzucht von Zellen im Labor

Anzucht von Zellen im Labor. Bild: CanStockPhoto

Was wäre, wenn man aus den Zellen eines einzigen Rindes 175 Millionen Steaks machen könnte? Diese Idee scheint aus der Zukunft zu stammen, doch mit Hilfe von In-vitro-Zellkulturen, also der Produktion von Fleisch im Labor, könnte sie tatsächlich wahr werden.

Dank dem medizinischen Fortschritt und der Verbesserung unserer Lebensbedingungen hat die Weltbevölkerung in den letzten 200 Jahren von 1 auf 7 Milliarden Menschen zugenommen. Dies bedeutet natürlich auch, dass mit denselben Ressourcen immer mehr Personen ernährt werden müssen. Möglich gemacht hat dies unter anderem die Industrialisierung der Landwirtschaft. Gerade auch Fleisch ist für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich geworden, und wir haben uns daran gewöhnt, dass es regelmässig auf unserem Speiseplan steht.

Warum Fleisch aus dem Labor?

Intensive Viehzucht ist in den industrialisierten Ländern zur Norm geworden: Herden von Rindern und Schafen, Schweine und Geflügel in grosser Zahl brauchen Landfläche, Wasser und Futter. Diese Ressourcen stehen nicht unbeschränkt zur Verfügung. Ausserdem produzieren Wiederkäuer grosse Mengen Methan, welches zur Klimaerwärmung beiträgt. Deshalb hat man sich die Aufgabe gestellt, neue Lösungen für die Fleischproduktion zu finden – erschwinglich für jedes Budget und herstellbar mit weniger Ressourcen. Kann Laborfleisch diese Kriterien erfüllen?

Hamburgerfleisch aus der Zellkultur

Der weltweit erste in Zellkultur gewachsene Hamburger. Bild: WEF/Wikimedia Commons, CC-Lizenz

Wie entsteht das „Fleisch aus der Pipette“?

Im Jahr 2013 ist es Wissenschaftlern der Universität Maastricht nach langen Vorarbeiten gelungen, den ersten Hamburger aus im Labor produzierten Fleisch zu präsentieren. Die Technik ist relativ einfach zu verstehen: Mit Hilfe einer Spritze entnimmt man einem Rind (oder anderen Nutztier) sogenannte Stammzellen aus den Muskeln. Diese Zellen werden in ein Kulturmedium gebracht, damit sie wachsen und sich vermehren. Wachstumshormone werden hinzugegeben, damit die Stammzellen zu Muskelzellen werden und sich in Fasern anordnen. Der ganze Prozess muss steril ablaufen, damit die Fasern vor Kontaminationen geschützt sind. Die künstlichen Muskelfasern werden später zu einer kompakten Masse geformt, die einem echten Steak von einem echten Rind – oder einer Pouletbrust – so ähnlich wie möglich sein soll.

Was ändert sich dadurch für die Umwelt?

Anders als bei der herkömmlichen Tierzucht braucht die Produktion von Fleisch in Kulturschalen kaum Landfläche. Es müssen keine Tiere gefüttert werden, was Wasser und Energie spart. Ebenso lässt sich die Freisetzung von Methan in die Atmosphäre vermeiden. Ausserdem gibt es weniger Probleme mit Tierkrankheiten, denn im Labor ist es einfacher sicherzustellen, dass die Zellen gesund und nicht verunreinigt sind! Positiv erscheint ausserdem, dass man beinahe unbeschränkt Fleisch produzieren könnte, ohne dafür Tiere töten zu müssen. Doch hat diese Methode tatsächlich nur Vorteile?

Rinder auf der Alpweide

Viehwirtschaft ist in solchem Gelände eine der wenigen möglichen Landwirtschaftsformen. Bild: CanStockPhoto

Keine Wunderlösung ...

Aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen muss auch eine andere Seite betrachtet werden: Zahlreiche Viehzüchter weltweit würden ihren Beruf verlieren oder müssten sich neu orientieren. Zudem ist Viehzucht ist nicht gleich Viehzucht: Während industrielle Massentierhaltung nicht als nachhaltig betrachtet werden kann, liegt der Fall bei extensiven Formen der Landwirtschaft anders. Auf Böden und in Geländeformen, die beispielsweise nicht zur Getreideproduktion genutzt werden können, ist die Haltung von Weidetieren traditionellerweise oft die einzige Form der landwirtschaftlichen Nutzung. Sie trägt zur natürlichen Düngung dieser Böden bei und erhält zum Beispiel artenreiche Bergwiesen, die sonst von Sträuchern überwachsen würden.

Auch die Produktion des Laborfleischs selbst wird kritisch betrachtet. Problematisch erscheinen insbesondere die Inhaltsstoffe des benötigten Kulturmediums und die Anpassung der Anlagen auf eine Grösse, welche die Produktion von wirtschaftlich sinnvollen Mengen ermöglicht. Es ist ganz klar, dass der Preis von über 300'000$, der für den Hamburger von 2013 veranschlagt wurde, niemals marktfähig wäre!

In allen Bereichen sind jedoch in den letzten Jahren gewaltige Fortschritte erzielt worden. Ein Haupt-Kritikpunkt an der Zusammensetzung des Nährmediums für die Zellkulturen war lange, dass Fötales Kälberserum als Zutat benötigt wurde, welches nicht ohne die Schlachtung von Kühen und Kälbern gewonnen werden kann. In jahrelanger Forschung konnte inzwischen jedoch ein Rezept entwickelt werden, das ohne Kälberserum auskommt; es wurde 2022 in der Fachzeitschrift Nature Food veröffentlicht. Auch die Zugabe von Antibiotika zum Medium ist im Normalbetrieb nicht nötig, wenn die Produktionskreisläufe geschlossen sind und die Zellen so in einer sterilen Umgebung gezüchtet werden.

Die Kosten für die Produktion konnten in den letzten Jahren ebenfalls kontinuierlich gesenkt werden. Auch wenn noch längst nicht alle herkömmlichen Fleischsorten zufriedenstellend und zu erschwinglichen Preisen hergestellt werden können, scheint es immer realistischer, dass die Auswahl in naher Zukunft grösser wird. In Singapur wurden 2020 und 2021 bereits die ersten Produkte aus Zellkulturfleisch als Lebensmittel zugelassen: Chicken Nuggets und Pouletbrust.

... aber vielleicht schon bald eine interessante Alternative?

Damit stellt sich nun auch die Frage, wie es mit der Akzeptanz von Fleisch aus der Zellkultur bei den Konsumentinnen und Konsumenten aussieht: Wärst du neugierig und würdest einen Hamburger, Chicken Nuggets oder sogar ein Steak probieren, das im Labor produziert wurde? Oder kommt das für dich nicht in Frage?

Ganz generell können wir aber natürlich mit unserem Verhalten im Alltag viel bewirken: Wird Fleisch wieder als Spezialität und weniger als Massenware betrachtet und weniger konsumiert, muss auch weniger davon produziert werden.

Dieser Text basiert auf einem Poster (auf Französisch), das 2018 von P. Moreau, C. Delgrange, F. Kerff, E. Renard-Dausset und Z. Gabr im Rahmen der Vorlesung „Globale Herausforderungen“ an der EPF Lausanne erstellt wurde (alle Studentinnen und Studenten besuchen in ihrem ersten Jahr diese Vorlesung; das Poster mit dem Titel „To beef or not to beef?“ war eines der vier besten des Jahrgangs).

Der Artikel wurde Anfang 2022 mit zusätzlichen Informationen ergänzt.

Zuletzt geändert: 04.02.2022
Erstellt: 09.04.2020
Mehr