Körper & Gesundheit

Die Entwicklung deines Gehirns

Bild: Adobe Stock

Das menschliche Gehirn ist erst mit ca. 25 Jahren vollständig ausgereift. Kein Wunder, dass Jugendliche und Erwachsene nicht immer gleich ticken. Sie aktivieren unterschiedliche Regionen ihres Gehirns, wenn sie Entscheidungen treffen.

Den Anfang machen Stammzellen

Stark vereinfachte Darstellung der Entwicklung eines Neurons. Aus einer befruchteten Eizelle entwickeln sich alle Zellen, die den gesamten Organismus aufbauen, so auch die Nervenzellen (Neuronen). Bild: Redaktion SimplyScience

Wir alle entstehen aus einer einzigen Zelle: der befruchteten Eizelle. Sie ist eine totipotente Stammzelle, das heisst eine Zelle, die sich teilen und alle Zelltypen des ausgewachsenen Organismus produzieren kann. Aus ihr entstehen auch neuronale Stammzellen. Diese teilen sich in je eine weitere Stammzelle und eine zweite Zelle, die sich zu einer Nervenzelle (einem Neuron) weiterentwickelt. Eine Stammzelle, die sich zu einer spezifischen Zellart weiterentwickelt hat, ist eine differenzierte Zelle. Der Prozess der Differenzierung einer neuronalen Stammzelle zu einem Neuron heisst Neurogenese. 

Um das Gehirn eines Neugeborenen mit seinen etwa 100 Milliarden Neuronen aufzubauen, müssen die neuronalen Stammzellen viel leisten: Sie produzieren während der Schwangerschaft im Durchschnitt etwa 250´000 Neuronen pro Minute!  

Neurogenese und Migration

Ab der dritten Entwicklungswoche entsteht im Embryo das Nervensystem und damit auch das Gehirn. Die meisten Neuronen finden ihre Endposition im Gehirn, indem sie an länglichen Helferzellen, den Gliazellen, die das Stützgewebe des Nervensystems bilden, entlanggleiten. Der Cortex (die äussere Schicht des Grosshirns) zum Beispiel entsteht durch präzise regulierte Migration: Die jüngsten Neuronen bilden die innersten Schichten, ältere wandern von innen nach aussen, bis sich sechs Lagen gebildet haben. Manche Neuronen bewegen sich auch entlang der äusseren Schicht des Gehirns – manchmal sogar von einer Hirnhälfte zur anderen! Die Zellen sind ganz schön agil: sie bewegen sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 0.1 mm pro Tag, wobei manche insgesamt mehrere Millimeter weit wandern!  

Die harte Konkurrenz zwischen Neuronen 

Während die Zellen die Differenzierung abschliessen und ihren Platz finden, beginnen sie auch, Verbindungen zu anderen Zellen herzustellen. Zu diesem Zweck bilden Neuronen verschiedene Fortsätze aus, die Signale versenden und empfangen: die langen, von Gliazellen umhüllten Axonen und die verästelten Dendriten. Zwischen Axonen und Dendriten sowie Dendriten und Dendriten entsteht ein dichtes Netzwerk. Übrigens ist es ab der Entstehung der ersten Synapsen auch möglich, die Bewegungen des Babys per Ultraschall oder Magnetresonanztomographie zu beobachten, auch wenn die Mutter diese noch nicht fühlen kann. 

Während der Hirnentwicklung herrscht zunächst Überfluss. Von allem wird zu viel produziert und anschliessend abgebaut: Neuronen, Dendriten, Synapsen … Die Menge der Zellen, die im menschlichen Gehirn während dessen Entwicklung eliminiert werden, ist beachtlich: Je nach Hirnregion sterben bis zu 85% der Neuronen durch programmierten Zelltod (Apoptose). Dies wird unter anderem durch Konkurrenz hervorgerufen: Die Neuronen konkurrieren um synaptische Kontakte. Zellen, die nicht genug Verbindungen herstellen können, sterben ab.  

Geboren mit einem unreifen Gehirn

Bei der Geburt hat ein Menschenkind zwar mehr oder weniger alle seine Neuronen, doch vieles sieht ganz anders aus als in einem erwachsenen Gehirn. Zum einen wäre da die Grösse: Während des ersten Lebensjahres verdoppelt sich das Volumen des Gehirns. Mit drei Jahren hat es etwa 80% des Volumens eines erwachsenen Gehirns erreicht. Unter anderem ist dies auf die noch nicht vollendete Myelinisierung zurückzuführen. Der isolierende Mantel um die Axone, der deren Leitungsfähigkeit enorm verbessert, bildet sich zwar schon ab dem zweiten Drittel der Schwangerschaft, doch seine Entwicklung erreicht erst nach der Geburt ihren Höhepunkt. 

Noch drastischer sind die Unterschiede bei den Synapsen: Bei der Geburt hat jedes Neuron durchschnittlich etwa 2´500 Synapsen. Im Gehirn eines Kleinkinds bilden sich dann in rasendem Tempo zusätzliche Verbindungen. Das Gehirn eines Zweijährigen hat bereits so viele Synapsen wie das eines Erwachsenen. Bei Dreijährigen sind es sogar doppelt so viele. Sie werden in den folgenden Jahren langsam wieder abgebaut. Die enorme Menge an Verbindungen bildet die Basis für die sehr hohe Anpassungs- und Lernfähigkeit im Kindesalter. Was ein Kind in diesen Jahren erlebt, beeinflusst das Gehirn auf dramatische Art und Weise. Ein Grossteil der Hirnentwicklung findet also in den ersten Lebensjahren statt – wenn wir etwa 5 Jahre alt sind, ist schon sehr viel passiert.

Myelinisiertes Neuron. Die Schwann-Zellen ummanteln das Axon des Neurons und bilden zusammen die Myelinscheide. Zwischen den einzelnen Schwann-Zellen bleibt ein kleiner Bereich des Axons nackt (Ranvier-Schnürring). Dies ist wichtig für die Übertragung der neuronalen Signale. Bild angepasst nach Dhp1080/Wikimedia Commons, CC-Lizenz

 

 

Das Teenager-Gehirn

Animation des menschlichen Gehirns. Man sieht nur die linke Gehirnhälfte sowie das bogenförmige Corpus Callosum (auch Balken genannt) ungefähr in der Mitte. Der linke Frontallappen ist rot eingefärbt. Bild: Life Science Databases(LSDB)/Wikimedia Commons, CC-Lizenz

Eine wichtige Hirnregion verändert sich jedoch auch noch in der Jugend und bis in die Zwanziger dramatisch: der Frontallappen. Dieser kontrolliert viele wichtige Funktionen; unter anderem wird er für die ausserordentlichen kognitiven Fähigkeiten von uns Menschen verantwortlich gemacht, also unsere Fähigkeit zum Denken und Wahrnehmen. Einen wichtigen Einfluss auf diese Veränderung des Frontallappens haben Hormone. Magnetresonanztomographie-Studien konnten zeigen, dass sich die neuronalen Netzwerke auch in der Jugend verändern und dass auch die Myelinisierung fortschreitet und sich somit die Leitungsfähigkeit der Hirnzellen weiter verbessert. Zum Beispiel wird das Corpus Callosum, also die Nervenstränge, welche die zwei Hirnhälften verbinden, besser myelinisiert. Dies soll sowohl die analytischen Fähigkeiten als auch das kreative Denken verbessern. Beides kann helfen, auf komplizierte Situationen, die während der Pubertät durchaus oft entstehen, zu reagieren.  

In der Jugend findet auch eine zweite Welle der Synapsenbildung statt. Darauf folgt dann wieder ein Abbau, der recht lange dauert. Während der Jugend verändert sich auch die Ausschüttung verschiedener Botenstoffe (Hormone) im Gehirn, wie zum Beispiel von Dopamin. Dies kann die Risikobereitschaft betreffen, Gemütsschwankungen hervorrufen und das Suchtverhalten beeinflussen. Somit ist es nicht erstaunlich, dass sich Jugendliche häufig für actionreiche Aktivitäten begeistern und risikofreudiger unterwegs sein können. Leider beginnen auch Drogenabhängigkeiten oft in diesem Alter, denn Substanzen können das noch nicht ausgereifte Dopamin-System ungünstig verändern.  

Mit 20 sind wir relativ reif, aber noch nicht voll entwickelt

Es dauert bis zum Alter von etwa 25 Jahren, bis alle Veränderungen im präfrontalen Kortex, also dem Teil des Gehirns, der ganz vorne liegt, abgeschlossen sind. Dieser Teil des Gehirns übernimmt wichtige Funktionen: Hier werden Entscheidungen  getroffen, Prioritäten gesetzt und das Leben geplant. Während Jugendliche eher auf das limbische System (Emotionszentrum) setzen, wenn sie Entscheidungen treffen, aktivieren Erwachsene vermehrt den präfrontalen Kortex, da er voll ausgereift ist.  

Quelle: Cora Olpe/Wissenschafts-Olympiade, Redaktion SimplyScience 
 

Erstellt: 22.04.2024
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