Wir alle entstehen aus einer einzigen Zelle: der befruchteten Eizelle. Sie ist eine totipotente Stammzelle, das heisst eine Zelle, die sich teilen und alle Zelltypen des ausgewachsenen Organismus produzieren kann. Aus ihr entstehen auch neuronale Stammzellen. Diese teilen sich in je eine weitere Stammzelle und eine zweite Zelle, die sich zu einer Nervenzelle (einem Neuron) weiterentwickelt. Eine Stammzelle, die sich zu einer spezifischen Zellart weiterentwickelt hat, ist eine differenzierte Zelle. Der Prozess der Differenzierung einer neuronalen Stammzelle zu einem Neuron heisst Neurogenese.
Um das Gehirn eines Neugeborenen mit seinen etwa 100 Milliarden Neuronen aufzubauen, müssen die neuronalen Stammzellen viel leisten: Sie produzieren während der Schwangerschaft im Durchschnitt etwa 250´000 Neuronen pro Minute!
Neurogenese und Migration
Ab der dritten Entwicklungswoche entsteht im Embryo das Nervensystem und damit auch das Gehirn. Die meisten Neuronen finden ihre Endposition im Gehirn, indem sie an länglichen Helferzellen, den Gliazellen, die das Stützgewebe des Nervensystems bilden, entlanggleiten. Der Cortex (die äussere Schicht des Grosshirns) zum Beispiel entsteht durch präzise regulierte Migration: Die jüngsten Neuronen bilden die innersten Schichten, ältere wandern von innen nach aussen, bis sich sechs Lagen gebildet haben. Manche Neuronen bewegen sich auch entlang der äusseren Schicht des Gehirns – manchmal sogar von einer Hirnhälfte zur anderen! Die Zellen sind ganz schön agil: sie bewegen sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 0.1 mm pro Tag, wobei manche insgesamt mehrere Millimeter weit wandern!
Die harte Konkurrenz zwischen Neuronen
Während die Zellen die Differenzierung abschliessen und ihren Platz finden, beginnen sie auch, Verbindungen zu anderen Zellen herzustellen. Zu diesem Zweck bilden Neuronen verschiedene Fortsätze aus, die Signale versenden und empfangen: die langen, von Gliazellen umhüllten Axonen und die verästelten Dendriten. Zwischen Axonen und Dendriten sowie Dendriten und Dendriten entsteht ein dichtes Netzwerk. Übrigens ist es ab der Entstehung der ersten Synapsen auch möglich, die Bewegungen des Babys per Ultraschall oder Magnetresonanztomographie zu beobachten, auch wenn die Mutter diese noch nicht fühlen kann.
Während der Hirnentwicklung herrscht zunächst Überfluss. Von allem wird zu viel produziert und anschliessend abgebaut: Neuronen, Dendriten, Synapsen … Die Menge der Zellen, die im menschlichen Gehirn während dessen Entwicklung eliminiert werden, ist beachtlich: Je nach Hirnregion sterben bis zu 85% der Neuronen durch programmierten Zelltod (Apoptose). Dies wird unter anderem durch Konkurrenz hervorgerufen: Die Neuronen konkurrieren um synaptische Kontakte. Zellen, die nicht genug Verbindungen herstellen können, sterben ab.