Sterne & Weltraum

Leben ohne Schwerkraft

Die Internationale Raumstation ISS über dem Planeten Erde

Die internationale Raumstation ISS ist seit dem Jahr 2000 kontinuierlich mit einem Team von Astronautinnen und Astronauten besetzt. Bild: CanStockPhoto

Wer hat nicht als Kind davon geträumt, Astronaut zu werden und einen Flug ins Weltall zu unternehmen? Was für viele ein Kindheitstraum blieb, ist für einige Forscher zum Beruf geworden. Doch was erhofft sich die Wissenschaft von Forschungsexperimenten im All?

Astronautin beim Training auf der ISS

Bei einem längeren Aufenthalt im Weltraum wird die Knochendichte beeinträchtigt. Astronautinnen und Astronauten auf der ISS trainieren täglich, um Muskelschwund und Knochenabbau entgegenzuwirken. Bild: NASA/Wikimedia Commons

In Tausenden von Jahren der Evolution hat der Mensch – wie alle anderen Lebewesen auf der Erde – sich so entwickelt, dass er immer optimal an die Gegebenheiten auf der Erdoberfläche angepasst war. Temperatur, Sauerstoffgehalt der Atmosphäre und die Schwerkraft unseres Planeten bieten uns seit Generationen ideale Lebensbedingungen. Ganz anders sieht es aber aus, wenn sich Menschen auf eine Expedition in den Weltraum begeben, denn dort herrschen harte Bedingungen. Am eindrücklichsten ist wohl die Schwerelosigkeit: der Zustand, in dem keine Gewichtskraft auf einen Körper wirkt.

Wie Schwerelosigkeit den Körper verändert

Astronauten können das Leben ohne Schwerkraft durchaus über eine gewisse Zeit verkraften, aber der Körper muss dabei einige Anpassungen durchmachen. Viele Astronauten erleben Symptome der sogenannten Raumkrankheit, wenn ihr Körper von seiner normalen Umwelt auf der Erde in die Schwerelosigkeit versetzt wird. Ähnlich wie bei der Seekrankheit treten dabei Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen auf. Dies ist die Folge einer Störung des Gleichgewichtsorgans im Innenohr.

Um die Langzeiteffekte der Schwerelosigkeit auf den Körper zu untersuchen, führte die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA einen Versuch mit den eineiigen Zwillingen Mark und Scott Kelly durch. Während Scott fast ein Jahr auf der internationalen Raumstation verbrachte, blieb sein Bruder Mark auf der Erde zurück. Vor, während und nach dem Raumflug wurden möglichst viele physiologische Parameter an den Zwillingen untersucht, um ein umfassendes Bild zu erhalten, wie stark der Körper im Weltall belastet wird. Aus dieser Studie wurden interessante Erkenntnisse gewonnen: Der Calcium-Metabolismus der Knochen war gestört, und die Knochendichte nahm im Weltall stark ab. Das Immunsystem des Astronauten Scott hingegen reagierte im Weltall gleich auf eine Grippeimpfung wie dasjenige seines Zwillings Mark auf der Erde, und auch die Darmflora veränderte sich kaum. Veränderungen in der Genexpression und die Zunahme von schädlichen DNA-Veränderungen, die bei Scott, aber nicht bei Mark gefunden wurden, schrieben die Forscher der erhöhten Belastung durch ionisierende Strahlung im Weltraum zu. Zudem wurden bei Scott Anzeichen einer leichten, unspezifischen Entzündungsreaktion gefunden. Ebenfalls spannend ist, dass Scott im Weltall kognitive Aufgaben besser meisterte als auf der Erde, aber nach seiner Rückkehr diese schlechter löste als vor der Expedition.

Salatpflanze, kultiviert ohne Erde in einer speziellen Wachstumskammer

Dieser Salat wächst auf der ISS. Viele Pflanzen können Schwerkraft spüren und wissen so, wo Wurzeln und andere Pflanzenteile hinwachsen sollen. Schwerelosigkeit stellt sie vor Herausforderungen. Bild: NASA/Wikimedia Commons

Was können wir von der Forschung ohne Schwerkraft lernen?

Forschung in einer Umgebung ohne Schwerkraft wird von den Raumfahrtbehörden hauptsächlich betrieben, um die Bedingungen für die Besatzung der Raumschiffe zu optimieren und Expeditionen zu entfernt gelegenen Planeten zu ermöglichen. Es gibt allerdings auch andere Forschungsrichtungen, die an den Bedingungen ohne Schwerkraft interessiert sind.

So zeigen beispielsweise fast alle höheren Pflanzen sogenannten „Gravitropismus“, was bedeutet, dass diese Pflanzen Schwerkraft messen können. Spezialisierte Organellen in ihren Zellen (die Amyloplasten) werden durch die Schwerkraft dazu gebracht, sich an einer Seite der Zelle abzusetzen. Dadurch wird ein Reiz generiert, der einen Sensor der Zelle aktiviert und ihr so mitteilt, in welche Richtung die Schwerkraft wirkt. Damit haben die Pflanzen einen Sinn für „oben und unten“ und können als Antwort darauf in ihren Zellen verschiedene Differenzierungsprogramme aktivieren, die schliesslich zur Ausbildung von Wurzeln und oberirdischen Pflanzenteilen führen. Auf der ISS haben Forscher spezialisierte Kammern installiert, wo Pflanzen in der Schwerelosigkeit wachsen können. Damit kann einerseits der Einfluss von Schwerkraft auf die Differenzierungsprogramme der Pflanzenzellen untersucht werden. Andererseits können auch Versuche unternommen werden, um zu testen, welche Pflanzen wenig von der Schwerelosigkeit betroffen sind und sich daher zur Ernährung von Menschen auf langen Raumflügen eignen würden.

Künstlerische Darstellung einer möglichen Mars-Kolonie

So stellt man sich vor, dass Menschen auf dem Mars leben könnten. Bis dieses Bild Realität werden könnte, sind aber noch viele Schwierigkeiten zu überwinden. Bild: NASA/Wikimedia Commons

Auch die embryonale Entwicklung von Tieren in der Schwerelosigkeit wird zurzeit erforscht. Hier konnten Forscher zeigen, dass in Mäuseembryos in Abwesenheit der Schwerkraft wichtige Stresssensoren aktiviert werden und die Embryos viel häufiger absterben als unter normalen Bedingungen. Ebenfalls wurde beobachtet, dass Stammzellen, die sich in verschiedenste Zelltypen differenzieren können, dies in der Schwerelosigkeit weniger oft spontan tun als wenn man sie auf der Erde kultiviert.

All diese Erkenntnisse können helfen zu verstehen, wie Menschen, Tiere und Pflanzen sich an ein Leben unter veränderter Schwerkraft anpassen müssen. Wer weiss, vielleicht werden dadurch in Zukunft Expeditionen zu entfernten Planeten möglich sein?

Die ISS

Die internationalen Raumschiffstation – kurz ISS – ist der grösste Satellit, der die Erde umkreist. Gegründet in einer Zusammenarbeit der Raumfahrtabteilungen der USA, Russlands, Kanadas, Europas und Japans, kreist die ISS rund 400 km von der Erdoberfläche entfernt in 93 Minuten einmal um die Erde. Dies bedeutet, dass die ISS im Schnitt mit fast 29’000 km/h unterwegs ist!

Erstellt: 08.04.2022
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