Technoscope: Wie hängen Technik und klassische Musik zusammen?
Victor Ravizza: Wer am Konservatorium ein Musikinstrument studiert, muss in erster Linie dessen technische Aspekte kennen und verstehen. Und er muss mit intensivem Studium die Technik des Spiels zu beherrschen lernen. Es gibt unter den grossen Musikern ganz brillante Techniker. Aber was in der Musik schliesslich wirklich zählt, ist die Interpretation. Dort fängt die Kunst an. Denn die Interpretation beruht zwar auf dem Technischen, versucht aber gleichzeitig, dessen Probleme und Schwierigkeiten durch den künstlerischen Ausdruck vergessen zu machen.
Diese Kunst kann die Technik einfangen und bewahren.
Das stimmt. Konzertaufnahmen können heute technisch so perfekt sein, dass es für die Zuhörerinnen und Zuhörer praktisch keinen Unterschied zum Live-Erlebnis mehr gibt. Und doch fehlt auch bei den schönsten Konzertaufnahmen etwas: Sie bleiben immer gleich. Das leichte Kribbeln, das ich im Konzert jedes Mal verspüre, das gibt es hier nicht. Im Konzert warte ich voller Spannung darauf, wie der Pianist oder die Violinistin diese oder jene Stelle spielen wird. Diese lebendige Interpretation direkt mitzuerleben, ist immer wieder faszinierend. Aufnahmen hingegen, auch wenn sie noch so gut gemacht sind, bleiben "Konserven": etwas Aufbewahrtes, haltbar Gemachtes.
Kann der Computer Musikinstrumente überflüssig machen?
Nicht in der klassischen Musik. Sie braucht den "Atem" der Solisten, ihre ganz persönliche Handschrift. Klassische Musik ist für Instrumente geschrieben und auf dem Notenblatt fixiert. Bei jedem Konzert geht es darum, sie durch die gegenwärtige Interpretation wieder lebendig zu machen.