Technik & Materialien

Technik sei Dank

Bild: Adobe Stock

Die Weltlage ist nicht rosig: Krieg in Europa, Umweltzerstörung, Klimakrise. Manchmal scheint alles zum Verzweifeln. Doch es gibt auch Grund zur Hoffnung. Technik spielt dabei oft eine entscheidende Rolle. Sie hilft findigen Menschen, Ideen umzusetzen, die etwas bewegen. Weil sie nachhaltige Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit geben. Oder einfach nur die Welt ein Stück weit zum Guten verändern. Solchen klugen Lösungen für knifflige Probleme widmet sich dieser Artikel. Und: Nicht immer sind es die ganz grossen Einfälle, die am meisten bewirken. Auch kleine Ideen, wie sie jeder und jedem von uns durch den Kopf gehen, können Funken schlagen!

Die Meeresbiologin Ulrike Pfreundt (rechts) und die Künstlerin Marie Griesmar (links) haben „Rrreefs“ gegründet.

Ein Herz aus Ton für Korallen

Korallenriffe sind nicht nur bunte Unterwasserwunderwelten, in denen sich ein Viertel aller Meereslebewesen tummeln. Sie schützen gleichzeitig als Wellenbrecher die Küste vor Erosion. Doch weltweit ist bereits ein Drittel aller Riffe zerstört, durch Überfischung, Verschmutzung und steigende Wassertemperaturen. Das ist nicht nur traurig – es ist alarmierend. Denn wenn die Zerstörung so weitergeht, könnte ein Kipppunkt im Ökosystem Ozean erreicht werden. Und ohne gesunde Ozeane ist auch das Leben an Land in Gefahr. Was tun? Die Riffe retten! Und wie? Indem man sie wieder aufbaut und so den Korallen und allen anderen Lebewesen einen intakten Lebensraum zurückgibt. Mit diesem grossen Ziel haben die Meeresbiologin Ulrike Pfreundt und die Künstlerin Marie Griesmar „Rrreefs“ gegründet. Das in Zürich beheimatete Startup druckt im 3D-Drucker Tonziegel, die sich wie Legosteine zu künstlichen Rifflandschaften zusammenbauen lassen. Ihre Hohlräume bieten allen möglichen Lebewesen Unterschlupf, an ihre unterschiedlichen Oberflächenstrukturen können sich Korallenlarven heften. Bis 2034 will Rrreefs ein Prozent aller Korallenriffe an den Küstenwieder aufbauen, das entspricht rund 710 Kilometern.

Bild: Adobe Stock

Mit KI gegen Food Waste

In der Schweizer Gastronomie landen viele Lebensmittel im Abfall. Weit über 200 000 Tonnen sind es pro Jahr. Viel zu viel, sagten sich zwei Absolventinnen der Hotelfachschule Lausanne. Die in verschiedenen Praktika erlebte Lebensmittelverschwendung lag ihnen so schwer auf dem Magen, dass sie ein Startup gründeten und „Kitro“ entwickelten. Unterstützung und das nötige technische Know-how holten sie sich an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). „Kitro“, kurz für „Kitchen Hero“, kombiniert eine Waage mit einer darüber angebrachten Kamera und einer speziellen Software. Sie erkennt und analysiert weggeworfene Essensreste. Das hilft dem Gastrobetrieb dabei, seine Abläufe anzupassen: Richtet die Küche mit zu grossen Kellen an? Muss anders eingekauft, die Speisekarte angepasst werden? Rund 150 dieser Küchenhelden sind bereits im Einsatz und helfen Restaurants und Kantinen dabei, sorgsamer mit Lebensmitteln umzugehen – und dabei auch noch Geld zu sparen.

Bild: Adobe Stock

Wer nicht hören kann, darf fühlen

„Wir glauben daran, dass Musik das Leben bereichert“, schreiben die Jungen Symphoniker Hamburg auf ihrer Website. Das Laienorchester war deshalb sofort dafür zu haben,das „Sound-Shirt“ zu testen. Dieses spezielle Hemd ermöglicht es gehörlosen und schwerhörigen Menschen, ein Konzert zu erleben. Das funktioniert so: Verschiedene Mikrofone nehmen das Orchester auf, eine spezielle Software analysiert die Töne, wandelt sie in Steuerbefehle um und übermittelt sie drahtlos ans Sound Shirt. In dessen Gewebe sind viele kleine Motoren, sogenannte Aktoren, eingearbeitet. Sie setzen die erhaltenen Signale in mehr oder weniger starke Vibrationen um, je nach Intensität der Musik. So wird der Klang des Orchesters über den Tastsinn „spürbar“: Die Pauke rumort in der Bauchgegend, die Streicher zittern zart den Armen entlang. Ein überwältigendes Erlebnis für die Hörgeschädigten, die das Shirt in Hamburg ausprobieren konnten. Entwickelt wurde das Sound Shirt von CuteCircuit. Das Tech-Fashion-Startup aus London lässt Mode und Technik verschmelzen. Nicht als Gag. Sondern um Kleidern magische Fähigkeiten zu verleihen, mit deren Hilfe ihre Träger:innen alltägliche Hürden überwinden können.

Bild: Adobe Stock

Dem Krebs auf der Spur

Jedes Jahr erhalten in der Schweiz 6000 Frauen die Diagnose Brustkrebs und fast ein Viertel stirbt daran. Je früher die Krankheit erkannt wird, desto höher sind die Überlebenschancen. Am Luzerner Kantonsspital trainiert eine Forschungsgruppe eine KI-Software anhand grosser Mengen von Mammografie-Aufnahmen darin, Veränderungen im Gewebe zu erkennen, die noch so klein sind, dass sie sich von Hand nicht ertasten lassen. Erste Resultate sind vielversprechend. Die KI scheint sogar besonders gut darin, bösartige von gutartigen Veränderungen zu unterscheiden. So kann sie den betroffenen Frauen unnötige Zusatzabklärungen ersparen und wird zur wertvollen Unterstützung für Ärztinnen und Ärzte.

Bild: Adobe Stock

Der Gute-Nacht-Ring

Gut ein Drittel unseres Lebens verschlafen wir. Verlorene Zeit? Mitnichten! Schlaf hält Körper und Geist fit. Und doch schlafen die meisten von uns zu wenig: Wir bleiben vor dem Fernseher hängen, checken das Handy, schieben das Zubettgehen weiter und weiter hinaus. Und reden uns ein, trotzdem genug Nachtruhe zu bekommen. Der smarte Ring des finnischen Startups Oura lässt solche Ausreden nicht gelten. Mit Sensoren vollgepackt registriert er unbestechlich, wann wir einschlafen und aufwachen, ob wir selig schlummern oder uns unruhig im Bett wälzen und wie lange die einzelnen Schlafphasen dauern. Er misst Puls, Herz- und Atemfrequenz sowie die Körpertemperatur, errechnet daraus ein Schlafprofil und wie erholt wir am Morgen aufwachen. Und gibt massgeschneiderte Tipps für einen gesunden Schlaf.

Robotikexperte Mirko Kovac

Fliegende Helferlein

Industrieanlagen, Schornsteine, Lüftungskanäle oder Reaktoren müssen inspiziert werden. Die Rotorblätter von Windkraftanlagen müssen repariert, Lecks in Pipelines aufgespürt und behoben werden. An solch unzugängliche und gefährliche Orte möchte der Robotikexperte Mirko Kovac anstelle von Menschen seine Drohnen schicken. Der Empa-Forscher entwickelt mit seinem Team selbständige Flugroboter. Vorbild ist die Natur. In Kovacs „lebenden“ Maschinen oder „Robotertieren“ verschmilzt die Intelligenz des Lebens mit der des Computers: Seine Drohnen sind wendig wie Fische, kooperieren wie Bienen, die gemeinsam ihre Waben bauen, oder können sich wie Spinnen an einen selbstgesponnenen Faden hängen.

Das Algenhaus ist ein Demonstrationsprojekt der IBA in Hamburg und besitzt weltweit erstmals eine Fassade mit integrierten Photobioreaktoren. Bild: www.energie-experten.org/Wikimedia Commons, CC-Lizenz

Meine Nachbarn, die Algen

In Hamburg steht ein tiefgrünes Haus, das leise vor sich hinblubbert. Die Farbe kommt von den Mikroalgen, die in den Glaselementen seiner Fassade gezüchtet werden. Und das Blubbern kommt von den Luftblasen, die das Wasser darin umwälzen, damit jede von den mikroskopisch kleinen Algenzellen genug Licht und flüssige Nahrung bekommt. Zusätzlich gefüttert werden sie mit Abgasen. Damit sind alle Elemente für die sogenannte Photosynthese beisammen: So heisst der biochemische Prozess, mit dem Pflanzen Sonnenlicht und CO2 in Biomasse umwandeln. Im Algenhaus wird diese Biomasse regelmässig geerntet und zu Biogas verarbeitet. Zusätzlich deckt das Haus seinen Wärmebedarf durch Solarthermie: Seine „Biohaut“ wandelt das von den Algen nicht absorbierte Sonnenlicht in Heizenergie um. Unter dem Strich produziert es so mehr Energie, als seine Bewohner: innen verbrauchen.

Video Algenhaus Hamburg

Technik hat Folgen

Technik bedeutet immer wieder Fortschritt und die Lösung grosser Probleme. Sie kann neben gewollten, aber auch unbeabsichtigte Folgen haben. Allerdings gehören zu den Risiken einer neuen Technologie immer auch die Konsequenzen, die es haben könnte, ganz auf sie zu verzichten. 

Klar ist: Technikfolgen gehen uns alle etwas an. Und: „Was alle angeht, können nur alle lösen“, wie der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt einmal schrieb. Genau darum geht es bei der Technikfolgenabschätzung. Sie analysiert die möglichen Chancen und Risiken einer neuen Technologie so sachlich wie möglich und stellt ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung. So können sich Politik und Gesellschaft – also wir alle – ein Bild davon machen, ob und wie wir sie einsetzen wollen. Denn nicht immer ist das, was machbar ist, auch sinnvoll.

So ein Zufall

Rad, Dampfmaschine, Buchdruck, Glühbirne, Transistor: Grosse technische Erfindungen, die die Welt verändert, schwere Handarbeit erleichtert und Wissen für alle zugänglich gemacht haben. Doch auch zufällige Eingebungen können einen bedeutenden Einfluss haben und zu grossen Erfolgen führen, wie folgende Beispiele aufzeigen:

  • Percy Spencer arbeitet im zweiten Weltkrieg an der Verbesserung der amerikanischen Radarsysteme. Bei einem seiner Tests bemerkt der US-Forscher, dass die Radarstrahlen, die aus kurzen Pulsen von Mikrowellen bestehen, die Schokolade in seiner Tasche zum Schmelzen bringen …
  • Der Waadtländer Ingenieur George de Mestral sieht, wie sich die winzigen Haken einer Klette im Fell seines Hundes festkrallen und erkennt das Potenzial für einen neuartigen Textilverschluss. Der ist so revolutionär, dass er 1969 die Astronauten bei der Mondlandung begleitet.
  • 1888 in Belfast: John Boyd Dunlop fragt sich, was er tun könnte, damit sein kleiner Sohn auf dem Dreirad nicht mehr so durchgeschüttelt wird. Die Lösung: der luftgefüllte Reifen.
Erstellt: 21.06.2024
Mehr