Tiere & Pflanzen

Tierische Kommunikation in Schwärmen und Herden

Rentierherde

Rentierherde im Ural. Bild: CanStockPhoto

Sprache und Schrift ermöglichen es uns Menschen, einfach und gezielt Informationen auszutauschen – egal ob von einer Person zur nächsten oder in grossen Gruppen. Wie aber können Hunderte oder gar Tausende von Tieren offenbar wortlos miteinander kommunizieren?

Jedes Jahr ziehen riesige Heringschwärme in die Nord- und Ostsee. Scheinbar tanzend und doch geordnet bewegt sich der Schwarm durchs Wasser, ohne dass die Fische aneinanderstossen. Wie schaffen sie das?

Fischschwarm

Das Leben in Schwärmen bietet für Fische viele Vorteile. Innerhalb eines Schwarms schwimmen oft die kräftigsten Tiere vorne, während andere hinten folgen, da dort der Wasserwiderstand geringer ist. Bild: CanStockPhoto

Heringe: Schwarmverhalten mathematisch untersucht

Dieses eindrückliche Verhalten konnte mit Hilfe von Computermodellen nachgespielt werden. Dabei fanden die Forscherinnen und Forscher heraus, dass es ausreicht, wenn sich jeder einzelne Fisch nach drei wichtigen Regeln verhält: Erstens bewegt sich ein Fisch immer zum Mittelpunkt seines Umfeldes hin, also dorthin, wo sich die meisten anderen Fische befinden. Damit wird sichergestellt, dass ein Schwarm zusammen bleibt und keine Individuen verloren gehen. Zweitens bewegt sich jeder Fisch ein wenig weg, wenn ein anderer zu nahe kommt, damit die Fische nicht zusammenstossen. Als Drittes gilt, dass sich jeder Fisch ungefähr in die gleiche Richtung wie sein Nachbar bewegt. Damit wird sichergestellt, dass der ganze Schwarm in eine bestimmte Richtung zieht. Wenn jeder Fisch sich nach diesen Regeln verhält, entsteht eine geordnete Massenbewegung. Folglich kommt es aber auch zu einer starken Desorientierung, wenn sich ein einzelner Fisch vom Schwarm entfernt und sich nicht auf die Hilfe der anderen verlassen kann.

Dieses komplexe Verhalten konnte sich nur entwickeln, da es mit Vorteilen verbunden ist. Der grösste Vorteil, der sich durch das Schwarmverhalten der Heringe ergibt, ist der Schutz vor Räubern. Es ist viel schwieriger, aus einer grossen Zahl von Tieren ein einzelnes gezielt anzugreifen; für jedes Individuum sinkt dadurch die Wahrscheinlichkeit, gefressen zu werden. Zudem lenken die Massenbewegungen des Schwarms vom Einzeltier ab, was es wiederum dem Angreifer erschwert, sich ein einzelnes Beutetier auszusuchen. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass nicht jeder einzelne Fisch dauernd damit beschäftigt ist, nach Angreifern Ausschau zu halten. Denn wenn sich Tausende von Fischen zusammenschliessen, steigt die Wahrscheinlichkeit stark, dass ein Fressfeind früh erkannt wird. Nicht zuletzt ist auch die Fortpflanzung für Tiere in einem Schwarm einfacher, denn die bei einzeln lebenden Tieren teils aufwendige und zeitraubende Suche nach einem Partner entfällt völlig.

Rentier

Rentier im Schnee. Bild: M. + S. Lüthi

„Klickende“ Rentiere im Schneegestöber

Von den Küsten der Nordsee, wo die Heringsschwärme wohnen, ziehen wir nun in die Berge Norwegens und Finnlands zu den Samen. Dieses Volk züchtet schon seit fast 4000 Jahren Rentiere, und genau bei diesen Tieren findet man eine weitere spezielle Anpassung an das Leben in grossen Gruppen. Rentiere schliessen sich bei ihren jahreszeitlichen Wanderungen zu Herden von mehr als 100’000 Tieren zusammen, und dementsprechend wichtig ist es für sie, sich in der Gruppe orientieren zu können.

Rentiere sind Pflanzenfresser und verbringen den Hauptteil des Tages damit, Futter zu sich zu nehmen. Dabei bilden sich meist kleinere Gruppen, die etwas weiter auseinander nach Nahrung suchen. Damit die Tiere trotzdem wissen, wo sich der Grossteil der Herde befindet, hat sich beim Ren ein ganz spezieller Mechanismus entwickelt: Bei jedem Schritt schnappt eine Sehne am Fuss über einen knöchernen Vorsprung und verursacht dabei ein typisches Klickgeräusch – etwa wie wenn wir mit den Knöcheln unserer Finger knacksen.

Hufe eines Rentiers

Die Klicklaute, welche Rentiere beim Laufen von sich geben, entstehen, indem eine Sehne am Fuss bei jedem Schritt über einen Knochenvorsprung schnappt. Bild: M. + S. Lüthi

Dieses Geräusch hören die anderen Tiere. So können sie beurteilen, wo sich die Herde befindet – nämlich in der Richtung, aus der die meisten Klicklaute kommen. Zudem können sie auch die Bewegungsgeschwindigkeit der Herde in etwa abschätzen. Wenn nämlich die Klickgeräusche an Intensität und Anzahl zunehmen, bedeutet dies, dass sich die Herde in einer schnelleren Gangart bewegt. Forscher glauben, dass das Klicken vor allem auch bei schlechtem Wetter (wie beispielsweise in einem Schneesturm) von Vorteil ist, da es unter solchen Bedingungen oftmals unmöglich ist, die Tiere der Herde von Auge zu sehen. Die Klicklaute sind aber trotzdem hörbar.

Verschiedene Tierarten haben also ganz unterschiedliche Arten der Kommunikation in grossen Gruppen entwickelt – je nach Lebensraum und Lebensweise. Vielleicht können wir Menschen ja etwas von diesen Tieren lernen?

Modelle für die Forschung

Die Erforschung des Verhaltens von Tieren in Schwärmen und Herden dient nicht nur dazu, diese Spezies besser zu verstehen. Die Erkenntnisse können auch genutzt werden, um die Bewegungen von Menschenmengen zu studieren und zu simulieren und beispielsweise die Entstehung einer Massenpanik zu verhindern.

Menschenmenge an der Zürcher Streetparade 2013

Menschenmenge an der Zürcher Streetparade 2013. Bild: Zavijava2/Wikimedia Commons, CC-Lizenz

Erstellt: 18.05.2020
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