Technik & Materialien

Tröstliche (und weniger tröstliche) Töne

Bild: CanStockPhoto

„Musik drückt aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist“, schrieb Victor Hugo. Was der französische Schriftsteller nur vermutete, bestätigt heute die Hirnforschung.

Es muss seltsam ausgesehen haben: Es ist Nacht, wir sind in einem Krankenhaussaal, viel technische Apparate stehen herum, Wärmelampen und Beatmungsgeräte neben durchsichtigen Plastikboxen. Und mittendrin sitzt ein Mann im weissen Kittel auf einem Stuhl und spielt Cello. Warum? Weil Harald Schachinger, Chef der Frühgeborenen-Station an einem Berliner Spital, herausgefunden hatte, dass die Musik den winzigen Patienten guttat: Ihr Herzschlag und ihre Atmung normalisierten sich und ihre Überlebenschancen stiegen.

Dass Musik einen Einfluss auf unsere Gemütslage hat, ist kein Geheimnis. Eine beschwingte Melodie macht uns gute Laune und beschleunigt unsere Schritte, bei trauriger Musik kommen uns die Tränen. Nicht von ungefähr rieselt im Einkaufszentrum angenehme Hintergrundmusik: Die Ladenbesitzer versprechen sich davon, die Kundinnen und Kunden in eine gute (sprich: kauffreudige) Stimmung zu versetzen.

Musik, so scheint es, ist eine Sprache ohne Worte, die den meisten von uns geläufig ist. Zu diesem Schluss kommt auch die Hirnforschung. Sie hat nachgewiesen, dass Musikhören in unserem Hirn komplizierte (und noch nicht völlig verstandene) Prozesse auslöst. Bildgebende Verfahren zeigen, dass beim Musikhören unterschiedlichste Hirnareale stimuliert werden. Eine Musik, die wir als schön empfinden, aktiviert unter anderem das „Glückshormon“ Dopamin und unterdrückt die Ausschüttung des „Stresshormons“ Cortisol. Das macht sich auch die Medizin zu eigen: Überall dort, wo Patientinnen und Patienten mit Worten allein nicht (mehr) zu helfen ist – bei Alzheimer, Depressionen, Schlaflosigkeit oder Autismus – kann eine Musiktherapie trösten, beruhigen, entspannen und sogar Schmerzen lindern. Nicht von ungefähr singen in den allermeisten Kulturen die Mütter kleine Kinder in den Schlaf.

Musik kann uns aber auch beunruhigen und nervös machen. Diesen Effekt nutzt die Filmmusik aus, die weiss, wie man Emotionen mit der grossen Kelle anrührt: Bei tief bebenden Frequenzen oder hohen, verzerrten Tönen wissen wir sogleich, dass die Helden das leerstehende Gebäude besser nicht ganz allein erkunden sollten. Oder dass jetzt dann gleich der fürchterliche Haifisch aus der Tiefe auftauchen wird.

Erstellt: 28.01.2022
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