Auf welcher Körperseite schlägt dein Herz? Mit welcher Hand öffnest du einen Schraubverschluss? Und wie wäre das bei deinem Spiegelbild? Zahlreiche Dinge haben ihren Platz ganz klar auf einer bestimmten Seite: Du bist entweder Rechts- oder Linkshänder, und wenn du nicht mit einer sehr seltenen anatomischen Besonderheit geboren bist (einer sogenannten Heterotaxie), befindet sich dein Herz auf der linken und die Leber auf der rechten Körperseite.
Aber die Asymmetrie geht noch weiter, bis hinein in Bereiche, die wir von Auge nicht wahrnehmen können: Auch sehr viele Moleküle in der belebten Natur haben eine bevorzugte „Richtung“. Dies ist zum Beispiel der Fall für fast alle Aminosäuren, die Bausteine der Proteine und Enzyme. Sie sind asymmetrisch, könnten also „linksherum“ oder „rechtsherum“ zusammengesetzt werden, doch in der Natur kommt nur eine der beiden Varianten vor (sie wird L-Form genannt). Ihr Spiegelbild hat keine oder nicht dieselbe Funktion und ist deshalb für den Organismus nutzlos.
Asymmetrie – ein Kennzeichen der Natur
Diese von Lebewesen bevorzugte Asymmetrie ist so eindeutig (und das nicht nur bei Aminosäuren), dass sie als klares Kriterium dafür gilt, ob ein Stoff von einem Lebewesen produziert wurde oder bei einer rein chemischen Reaktion entstand: Würde man im Weltall Spuren von L-Aminosäuren finden, die nicht mit ihrem Spiegelbild gemischt sind, wäre das ein Indiz für ausserirdisches Leben. Ein vollkommen gespiegeltes Lebewesen könnte also auf unserem Planeten gar nicht überleben, da die hier vorkommenden Aminosäuren und auch andere Moleküle für seinen Körper falsch herum orientiert wären! Ebenso gibt es Stoffe, bei denen nur das eine Spiegelbild eine Wirkung auf den Körper hat, das andere jedoch nicht; dies zu wissen ist wichtig bei der Entwicklung von Medikamenten. Denn wenn einer der beiden spiegelbildlichen Stoffe gar ungewollte Nebenwirkungen auslöst, muss er aufwendig aus dem chemisch hergestellten Gemisch abgetrennt werden.
Die meisten Schnecken sind „rechtsdrehend“
Die natürliche Links-rechts-Orientierung kleinster Teilchen hat Folgen für die sichtbare Welt. Menschen und andere höhere Tiere sind dabei längst nicht die einzigen, die eine angeborene Neigung zu einer bestimmten Orientierung haben. Bestens sichtbar ist das am Beispiel unserer Gartenschnecken: Hast du schon einmal eine Weinbergschnecke mit einem Häuschen gesehen, das nicht nach rechts gedreht war? Falls ja, hättest du eine äusserst seltene Entdeckung gemacht, denn man schätzt, dass es unter mehreren Zehntausend Weinbergschnecken nur ein oder zwei solche „Schneckenkönige“ gibt.
Schon als Embryo asymmetrisch
Wie aber entsteht eine solche Asymmetrie? Moderne Methoden der Biotechnologie erlauben es, solche Fragen zu untersuchen, indem ganz gezielt einzelne Gene während der frühesten Entwicklung der Schnecke ein- oder ausgeschaltet werden. Japanische Forscher haben mit der Spitzschlammschnecke solche Versuche durchgeführt und festgestellt, dass das Ausschalten eines einzigen Gens mit dem Namen Lsdia1 ausreicht, um Schnecken mit ungewöhnlichen, linksdrehenden Häuschen hervorzubringen. Schon in der befruchteten Eizelle waren Anzeichen dafür zu erkennen, dass sich die Schneckenhäuschen später in die „falsche“ Richtung winden würden, und die Schnecken gaben diese Eigenschaft dann auch an ihre Nachkommen weiter.
Wirkt bei uns dasselbe Gen?
Die (fehlende) Aktivität von Lsdia1 beeinflusst nämlich, wie sich im Lauf der ersten drei Zellteilungen bestimmte regulierende Faktoren im entstehenden Zellhaufen verteilen. Dieser Zellhaufen ist also bereits nicht mehr symmetrisch, und nachfolgende Gene werden nicht überall im entstehenden Embryo auf die gleiche Weise ein- und ausgeschaltet. So entstehen im Lauf der Entwicklung aus einer einzelnen Zelle die verschiedenen Körperstrukturen – auch bei höheren Lebewesen: Gewisse Gene, die im Embryo der Spitzschlammschnecke zu Asymmetrie führen, tragen auch bei Wirbeltieren zur Regulierung der Links-rechts-Orientierung bei! Es ist also möglich, dass die Drehrichtung von Schneckenhäuschen und die Links- oder Rechtshändigkeit von Menschen im frühen embryonalen Stadium von einem ganz ähnlichen Mechanismus kontrolliert werden und dabei teilweise sogar dieselben Gene und Botenstoffe beteiligt sind.