Zellen & Moleküle

Wunderbar durchsichtig

Nahaufnahme eines menschlichen Auges

Das Auge ist ein Meisterwerk der Natur. Ausgeklügelte molekularbiologische Mechanismen sorgen während seiner Entwicklung dafür, dass das Gewebe von Hornhaut und Linse vollständig transparent wird. Bild: Bruno Henrique auf Pixabay

Es ist faszinierend, dass wir durch gewisse Werkstoffe wie Glas einfach hindurchsehen können – und durch andere nicht. Aber wie entstehen solche transparenten Materialien in der Natur, zum Beispiel die Linse unseres Auges?

Tautropfen auf einem Schachtelhalm-Stängel, Makroaufnahme

Linseneffekt von Tautropfen: Man sieht, dass die Struktur des Pflanzenstängels unter den Wassertropfen verzerrt erscheint. Bild: Luc Viatour/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Das Glas einer Fensterscheibe ist durchsichtig, ebenso die Linse einer Lupe oder ein Brillenglas – genau wie Wasser und Luft. Physikalisch betrachtet ist ein Material dann transparent, wenn es elektromagnetische Wellen hindurchlässt. Im Alltag meinen wir damit Lichtwellen. Das Sonnenlicht gelangt also direkt hindurch, ohne dabei reflektiert oder gestreut zu werden. Ist das Material jedoch auf eine bestimmte Weise geformt, werden die Lichtstrahlen gebrochen. Dies führt dazu, dass wir dahinterliegende Gegenstände vergrössert, verkleinert oder verzerrt sehen.

Für jeden Zweck die richtige Linse

Auf diesem Prinzip beruhen die Eigenschaften der Linsen von Brillen, Mikroskopen und Teleskopen. Im 17. Jahrhundert wurden zum ersten Mal Linsen geschliffen, welche so stark vergrösserten, dass sie selbst Bakterien und andere Einzeller sichtbar machen konnten, und seither wurde die Technologie kontinuierlich verbessert. Insgesamt lagen Tausende von Jahren zwischen der Entdeckung, dass man aus Quarzsand einen transparenten Werkstoff herstellen kann, bis zur Entwicklung heutiger Präzisionslinsen aus Glas und Kunststoff. Die Evolution hatte solche erstaunlichen Strukturen jedoch schon lange zuvor hervorgebracht, wahrscheinlich sogar mehrfach und unabhängig voneinander in verschiedenen Tierstämmen!

Metallene Vorrichtung mit eingelassener Linse auf einem höhenverstellbaren Gewinde

Nachbau eines der ersten Mikroskope aus dem 17. Jahrhundert; die kleine Linse mit dem Objekthalter davor befindet sich im oberen Drittel des Geräts. Bild: Jeroen Rouwkema/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Ein Wunderwerk der Natur: Das Auge

Das Auge der Wirbeltiere ist ein höchst spezialisiertes Gebilde aus vollständig transparenten Schichten, die sich genau am richtigen Ort in genau der richtigen Form entwickeln. Der vorderste Teil des Augapfels heisst Hornhaut – eine glasklare, von Tränenflüssigkeit benetzte Haut, welche das Auge nach vorne abschliesst und das einfallende Licht bündelt. Sie ist hauptsächlich dafür verantwortlich, dass wir scharf sehen können. Die Hornhaut (auch Cornea genannt) besteht aus sechs Schichten, die zusammen etwa 0.5–0.7 mm dick sind. Sie werden von lebenden Zellen gebildet. In der Hauptschicht der Cornea machen die Zellen jedoch nur 2–3% des Materials aus, die Zwischenräume sind mit verschiedenen Arten von Faserproteinen und anderen Zwischensubstanzen gefüllt. Sie bilden ein stabiles, höchst regelmässiges Gitter, das Wasser binden kann. Der Wassergehalt dieser Schicht ist streng reguliert. Diese Eigenschaften sind die Voraussetzung dafür, dass das Licht in der Cornea nicht gestreut wird und die Cornea durchsichtig ist. Blutgefässe enthält die Cornea nicht, denn das Blut darin würde die Hornhaut natürlich trüben. Sie enthält jedoch Nervenzellen.

Ein Tintenfisch in seinem natürlichen Habitat zwischen Algen

Der Tintenfisch sieht mit seinen Linsenaugen so gut wie ein Wirbeltier, doch diese sehr ähnlichen Strukturen haben sich unabhängig voneinander entwickelt. Bild: Amada44/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

„Glasklare“ Zellen

Der zweite, wichtige Bestandteil des Auges, der vollständig durchsichtig sein muss, ist die Linse. Sie besteht aus transparenten, lebenden Zellen, die sich aber natürlich stark von den Zellen anderer Gewebe unterscheiden. Ihre innere Struktur und ihre Anordnung sorgen dafür, dass die Linse genau den richtigen Brechungsindex hat und das einfallende Licht ungetrübt hindurchlässt und bündelt. Die Zellen der Linse sind die einzigen lebenden Zellen im Körper, die ohne Organellen und Zellkern auskommen. Während der Entwicklung eines Tieres werden die Organellen in den Linsenzellen nämlich systematisch abgebaut und damit das Innere der Zellen „gesäubert“. Verantwortlich für diesen Abbau ist ein bestimmtes Protein, das genau in den Zellen, die später das Zentrum der Linse bilden sollen, die Hüllmembranen der Organellen angreift und zerstört. Die Bruchstücke der Organellen werden dann aus der Zelle geschafft.

Fehler in der Kristallinstruktur verschlechtern das Sehvermögen

Da es in der Linse keine Blutgefässe (und auch keine Nervenzellen) gibt, werden ihre Zellen über die Augenflüssigkeit mit Nährstoffen versorgt. Anstelle von Organellen enthalten die Linsenzellen transparente Proteine in hoher Konzentration. Diese werden Kristalline genannt. Wenn ihre Struktur beeinträchtig wird, können sich Einschlüsse und Trübungen ausbilden. Dieses Krankheitsbild bezeichnen wir als „grauen Star“. Die Veränderung der Kristalline kann diverse Ursachen haben, von UV-Strahlung über Reaktionen auf Medikamente und Drogen bis zu Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes. Der allmähliche Verlust der Durchsichtigkeit der Kristallin-Struktur führt dazu, dass die Sehkraft des Auges wegen der getrübten Linse immer mehr nachlässt. Wird die Beeinträchtigung zu stark, kann die Linse heutzutage durch ein künstliches Implantat ersetzt werden.

Intelligentes Glas

Nicht jedes Glas ist durchsichtig: Milchglas und andere eingefärbte Gläser werden schon lange hergestellt. Relativ neu ist aber die Entwicklung von „intelligentem Glas“: Glas, das beim Anlegen einer elektrischen Spannung, bei veränderten Lichtverhältnissen oder unter Einwirkung von Wärme und Kälte seine Eigenschaften verändert. Daraus stellt man zum Beispiel Sonnenschutz-Scheiben und Brillengläser her, die sich bei starkem Lichteinfall von selbst tönen; Badezimmerfenster lassen sich auf Knopfdruck undurchsichtig machen, und grossflächige Verglasungen helfen bei der Regulierung der Temperatur im Gebäude.

Hier abgebildet ist ein Flugzeugfenster, dessen Sonnenblende in der oberen Hälfte nicht über das Glas gezogen, sondern auf Knopfdruck im Material selbst aktiviert wird.

Blick aus einem im oberen Teil abgedunkelten Flugzeugfenster
Erstellt: 07.06.2022
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